Deutscher Kunsthandel im Abseits?
4. Juni 2015Bereits vor der Frühjahrsversteigerung des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach hatte das Los mit der Nummer sechs die größte Aufmerksamkeit erweckt: ein Frühwerk von Vincent van Gogh. Das Gemälde "Kopf einer Bäuerin: Profil nach rechts" gehört zu einer Serie von Charakterstudien von Bauern und ihren Frauen. Der Niederländer zeichnete und malte zwischen 1884 und 1885 viele solcher Kopfportraits. Zu dieser Zeit stand ihm der Höhepunkt seines Schaffens noch bevor. Das kleinformatige Ölgemälde sollte zwischen 600.000 und 800.000 Euro bringen, so viel wie ein großes Einfamilienhaus. Für 600.000 Euro wurde es am Ende dann auch an einen anonymen Bieter versteigert.
Die Erlöserwartung zeigt: Der Kunstmarkt boomt. Nie zuvor auf unserem Globus wechselte Kunst für so hohe Summen die Besitzer - auf Auktionen, Kunstmessen und in Galerien. Laut "Art Market Report" der Kunstmesse TEFAF im niederländischen Maastricht erzielte der Weltkunstmarkt 2014 einen Rekordumsatz von 51 Milliarden Euro. Der Hauptgrund: Anleger setzen zunehmend auf Kunst. Die Verkaufspreise explodierten. Zwar legte auch Deutschland bei den Umsätzen geringfügig zu, laut Studie um zehn Prozent. Und vielleicht ist bei den Zahlen der TEFAF Vorsicht angebracht – wie bei allen Geschäftszahlen des intransparenten Kunsthandels. Doch es ist unübersehbar: Der Kunststandort Deutschland lahmt. Das große Geschäft mit der Kunst machen andere Länder.
Veränderte Märkte
Größter Markt sind der Studie zufolge die USA, die letztes Jahr allein für 20 Milliarden Euro Kunst umsetzten. Die zweite Position hält China, dicht gefolgt von Großbritannien. Zusammen beherrschen die drei Länder 83 Prozent des Gesamtmarktes. Die Hälfte des weltweiten Kunstumsatzes wird mit neuerer Kunst erzielt, die nach 1945 entstand. Das meiste Geld ließ sich hier mit Werken von Andy Warhol, Francis Bacon und Gerhard Richter verdienen. Der Deutsche gilt seit langem als der teuerste lebende Maler der Welt.
Wegen seiner Wirtschaftskraft sei der Kunststandort Deutschland wichtig, konstatiert Philipp Herzog von Württemberg, Chairman von Sotheby's Europa und Geschäftsführer des Auktionshauses in Deutschland. Als Pluspunkte nennt er das dichte Galeriennetz und die kunstsinnige Sammlerschaft. Dennoch rät Herzog, "ein Spitzenbild etwa von Gerhard Richter international zu verkaufen". Und nicht in Deutschland.
Die Kaufkraft auf dem internationalen Markt sei stärker. In New York, London, Hongkong oder Shanghai werde für ein und dasselbe Bild mehr bezahlt. Warum nicht in Deutschland? "Märkte verändern sich", bilanziert der Auktionsexperte und nennt dafür historische Ursachen.
Künstlerischer Aderlass
Auch der Kölner Kunstexperte Gérard A. Goodrow, einige Jahre Leiter der Kölner Kunstmesse Art Cologne, verweist auf die Geschichte: "In den goldenen 1920ger und 1930ger Jahren war der Kunstmarkt eine rein europäische Veranstaltung." Europäische Kunst wurde von europäischen Sammlern gekauft. Die Topmärkte waren Paris und die deutschen Kunstzentren Berlin, München und das Rheinland. "Die Politik in der Zeit des Nationalsozialismus führte zu einer Isolation des deutschen Kunstmarktes", stellt Betriebswirtin Doris Christophersen in einem Beitrag zur Ökonomie des Kunstmarktes fest. "Es folgten nur noch gezielte Kunstverkäufe – vorrangig als entartet klassifizierte moderne Kunstobjekte – an ausländische Interessenten zur Devisenbeschaffung." Erst nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich der deutsche Kunstmarkt wieder erholt, erläutert Christophersen im DW-Interview.
Amerika profitierte
Für die gravierendste Veränderung sorgten indes die Nazis, sagt Goodrow: "Die meisten Händler waren Juden. Nach dem Krieg gab es zwangsläufig weniger Juden in Europa. Viele wanderten nach Amerika aus." Ihnen seien nach dem Krieg viele Künstler gefolgt. "Letztendlich hat Amerika von der Situation in Europa profitiert", sagt Goodrow.
Die Kunsthandelszentren verlagerten sich. Und auch künstlerisch erlebte Europa einen Aderlass. Die Musik spielte zunehmend in der Neuen Welt: "Die Maler Josef Albers und Hans Hoffmann waren sehr einflussreich für die neue Generation amerikanischer Künstler", so der gebürtige US-Amerikaner Goodrow. "Wir hätten diese Künstler nicht so kennengelernt, wenn es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hätte. Dank dieses europäischen Einflusses war plötzlich Amerika interessant!" Das ist bis heute so geblieben. Denn, so Sotheby's-Manager von Württemberg: "Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen."
Kunsthändler klagen
Damit nicht genug: Deutschlands Kunsthändler sehen sich durch die politischen Rahmenbedingungen gegenüber ausländischen Wettbewerbern benachteiligt. Da ist das Folgerecht, das Künstler am Weiterverkaufserlös ihrer Werke beteiligt. Da sind die Beiträge zur Künstlersozialkasse. Auch die erhöhte Mehrwertsteuer macht den Galeristen zu schaffen, wie der Kölner Kunsthändler Klaus Benden vorrechnet: "Wenn Sie ein Bild in den USA erwerben, führen Sie es als Privatmann mit sieben Prozent Mehrwertsteuer ein. Verkaufe ich Ihnen dasselbe Kunstwerk in Deutschland, muss ich 19 Prozent Mehrwertsteuer verlangen und an den Staat abführen." Benden findet das "hochproblematisch". Kritik übt er auch an der geplanten Novelle des Kulturgutschutzgesetzes: Ausfuhrgenehmigungen nur noch für Kunstwerke oberhalb der 150.000-Euro-Grenze? Für den Galeristen ist das "völliger Quatsch!"
Erst vor wenigen Tagen teilte das Auktionshaus Sotheby's mit: Das soeben restituierte, großformatige Max Liebermann-Gemälde "Zwei Reiter am Strand nach links" aus dem Jahr 1901, das aus dem Kunstfund von Cornelius Gurlitt stammt, sei nun von den Erben zur Auktion eingeliefert worden und komme am 24. Juni unter den Hammer. Und wo bitteschön? Natürlich in London, in der Abendauktion "Impressionist & Modern Art".