Deutsche Uraufführung beim "29. Tokyo Filmfestival"
27. Oktober 2016Es hat nicht ganz so viele Jahre auf dem Buckel wie die großen Festivals in Europa. Mit Berlin, Cannes und Venedig kann es nicht mithalten, doch es ist das älteste Filmfestival Asiens. Gegründet wurde es 1985. Wie die traditionsreichen Veranstaltungen auf dem alten Kontinent verfügt Tokio inzwischen über eine Vielzahl an Filmreihen, Retrospektiven und Filmschauen zu bestimmten Aspekten sowie einen Wettbewerb.
Doppelweltpremiere in Tokio und Hof
Der ist in diesem Jahr mit 16 Filmen bestückt. Als Weltpremiere läuft dort auch die deutsch-österreichische Produktion "Die Blumen von gestern" ("The Bloom of Yesterday") von Regisseur Chris Kraus - zeitgleich mit der Premiere beim deutschen Festival in Hof. Schon allein das Thema des Films dürfte in Japan auf großes Interesse stoßen. Wie gehen die Nachfahren der Täter-Generation in Deutschland mit dem Holocaust um? Diese Frage stellt Regisseur Kraus in seinem Film und hat daraus überraschenderweise - eine romantische Komödie gemacht.
Eine mutige Entscheidung. Doch Chris Kraus ging es darum, das diffizile Thema einmal von einer anderen Seite zu beleuchten: "Mir war wichtig, mit diesem Film Fenster aufzureißen, und sei es, um Licht und Luft an ein Thema zu lassen, das mich seit Jahren herausfordert, das aber auch in übergroßem 'Gedenkverordnen' die Dringlichkeit zu verlieren droht, die es nach wie vor hat", sagt der Regisseur.
Tragikomödie um einen Holocaust-Forscher
In "Die Blumen von gestern" spielt Lars Eidinger den berühmten Holocaust-Forscher Totila Blumen, der mit seinem Menschenhass ringt und zudem unter seiner Herkunft leidet. Totila ist Enkel eines prominenten NS-Täters. Während seiner Arbeit trifft er auf die junge Französin Zazie (Adèle Haenel), eine jüdische Studentin. Ausgerechnet die aufgedrehte Zazie wird dem älteren Totila Blumen als Praktikantin zugeteilt. Eine schwierige, wie überraschende Beziehung entwickelt sich.
Bleibt abzuwarten, wie der neue, inzwischen vierte Film von Regisseur Chris Kraus ("Vier Minuten", "Poll") von Publikum und Jury angenommen wird. Bisher hat es beim Festival in der japanischen Hauptstadt erst einmal einen Gewinner aus Deutschland gegeben. 1997 errang Caroline Link für ihr berührendes Debüt "Jenseits der Stille" den "Tokyo Sakura Grand Prix". In Deutschland kommt Chris Kraus' "Die Blumen von gestern" am 12. Januar in die Kinos.
Meryl Streep auf dem Roten Teppich
Eröffnet wurde die 29. Ausgabe des Tokyo-Film-Festivals von der britisch-französischen Co-Produktion "Florence Foster Jenkins" mit Hollywood-Star Meryl Streep. Die spielt in der Komödie von Stephen Frears eine legendäre wie völlig talentfreie, reiche New Yorker Erbin, die ihren Traum verfolgt, professionelle Opernsängerin zu werden. Ihre japanischen Fans begrüßte die 67-jährige Oscarpreisträgerin Meryl Streep während der verregneten Eröffnung mit den Worten: "Hallo Tokio, ich liebe Euch dafür, dass Ihr im Regen gekommen seid!"
Während des Festivals (25.10.-3.11.) laufen über 200 Filme. Im Wettbewerb werden unter anderem Werke aus der Türkei, dem Iran, Russland und Italien gezeigt. Außerhalb der Konkurrenz steht in Programmreihen wie "Asian Future" und "Japanese Cinema Splash" das Kino des asiatischen Kontinents im Mittelpunkt. Präsentiert, erstmals für ein Publikum in Asien, werden auch viele große europäische und amerikanische Festivalerfolge der vergangenen Monate aus Berlin, Cannes und Venedig.
Früher Film von Max Ophüls in Tokio
Interessant aus deutscher Sicht ist auch eine Reihe, die restaurierte Filmschätze des "UCLA Film & Television Archive" aus Los Angeles zeigt. Das Archiv ist eines der führenden Filmmuseen der Welt. Hier läuft neben digital aufgerüsteten Versionen von Filmklassikern wie "My Darling Clementine" von John Ford oder Arthur Penns "Mickey One" auch ein Werk des gebürtigen Saarbrückers Max Ophüls. Der hatte seinen Film "Caught" 1949 im Exil in Hollywood gedreht, nachdem er seine Heimat nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verlassen musste.
So bekommt das japanische Publikum beim "29. Tokyo International Filmfestival" gleich zweimal Gelegenheit, sich mit deutscher Geschichte und Kino-Historie zu beschäftigen. Zum einen durch den Blick eines jüngeren Regisseurs (Chris Kraus/"Die Blumen von gestern"), der auf den Holocaust aus heutiger Sicht zurückblickt. Und zum anderen durch die Beschäftigung mit einem der größten Regisseure der deutschen Filmgeschichte: Max Ophüls.