1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsches Rentensystem fördert Altersarmut

Wolfgang Dick1. Dezember 2015

Eine aktuelle Studie der OECD offenbart, dass ältere Menschen in Deutschland schlechter gegen Altersarmut geschützt sind als in anderen Ländern. Und künftig werden Rentner wohl noch weniger Geld zur Verfügung haben.

https://p.dw.com/p/1HFa6
Eindeutig ältere Hände halten einige wenige Münzen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Bild: picture-alliance/dpa/K.J. Hildenbrand

Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die staatlichen Rentensysteme von 34 Industrieländern untersucht und die Ergebnisse am Dienstag in Berlin in einem internationalen Vergleich vorgestellt. Deutschland, sonst in vielen sozialen Bereichen Vorbild, befindet sich in diesem Vergleich nur im Mittelfeld. Dass bedeutet, dass andere Länder bessere Regelungen gefunden haben, um die Menschen im Alter zu versorgen. Monika Queisser, Rentenexpertin der OECD weiß auch, was der größte Nachteil des deutschen Rentensystems ist. "Die hundertprozentige Orientierung am Verdienst kennt kaum Umverteilung für sozial Schwächere. Das haben die Schweiz, Neuseeland und die Niederlande für Menschen mit geringer bezahlten Jobs und gesundheitlich Benachteiligte besser geregelt."

Systemnachteil Deutschland

Die Höhe der Altersbezüge aus der staatlichen Versorgung ergibt sich in Deutschland allein aus der Höhe des Verdienstes zu aktiven Berufszeiten. Als Regel gilt: Wer viel verdient hat, bekommt automatisch höhere Rentenbeiträge vom Lohn abgezogen, zahlt im Laufe der Zeit mehr in die Rentenkasse ein und bekommt deshalb später auch eine höhere Rente. Wer nur wenig verdient, zahlt entsprechend weniger ein und muss mit einer geringen staatlichen Rente klarkommen. Mit dieser Aussicht müssten Geringverdiener zusätzlich privat vorsorgen. Im Monat bleibt Menschen in schlecht bezahlten Jobs aber meist genau dafür gar kein Geld mehr übrig. Es bleibt ihnen nur die staatliche Altersversorgung. Für Härtefälle wie Langzeitarbeitslose gibt es nur sehr geringe Sozialhilfebeiträge im Alter.

Vorteilhafte Regeln

Die Schweiz, Neuseeland, Dänemark und die Niederlande arbeiten anders. Mit einer Basisrente. Es handelt sich dabei um einen festen Geldbetrag, der unabhängig vom früheren Verdienst einem Rentner in jedem Fall zusteht. Meistens ist dieser Basisbetrag niedriger, als die durchschnittliche monatliche Rente in Deutschland. Aber ein solch garantierter Sockelbetrag vermeidet eher Altersarmut für sozial schwächer gestellte Menschen. Aus Sicht der OECD hat sich vor allem ein Verfahren besonders bewährt, das für die Rentenberechnung nur auf die besten 35 Berufsjahre blickt. Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Zeiträume mit geringer bezahlten Tätigkeiten oder Krankheitsphasen blieben dabei unberücksichtigt. Länder, die in ihren Rentensystemen auf sozialen Ausgleich setzen oder von Anbeginn auf eine steuerfinanzierte Rente für alle, bieten ihren Bürgern im Alter einen höheren Schutz gegen Altersarmut.

Infografik Risiko Altersarmut - ein Vergleich Deutschland liegt im Mittelfeld. Das altersarmutsrisiko liegt in Israel am höchsten und in den Niederlanden ist es am geringsten. Grafik DW. Quelle OECD

Schlechte Perspektiven

Länder, die wie Großbritannien bei ihren Altersversorgungen stark auf private Initiative und statt auf staatliche Renten eher auf kommerzielle Rentenfonds setzen, erhöhen das Risiko der Altersarmut. Hinzu kommt das Problem der demographischen Entwicklung. Die Menschen in westlichen Industrienationen wie Japan und Deutschland werden immer älter. Zusätzlich sinken die Geburtenraten. Daraus entsteht das Grundproblem: Immer weniger aktiv Berufstätige müssen für immer mehr Rentner Geld aufbringen. Das kann aus Sicht der Experten der OECD nicht gut gehen. Ihre Prognose: Die Höhe der künftigen Renten wird trotz einiger Anpassungen deutlich sinken. "Diese Entwicklung wird von jüngeren Menschen absolut unterschätzt", erklärt ein Sprecher der OECD dazu.

Arbeiten bis ins hohe Alter wird unvermeidlich sein. Nach den Zahlen der OECD- Studie stieg die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen im Zeitraum der vergangenen zehn Jahre um sieben Prozent. Am längsten verbleiben die Arbeitskräfte in Korea, Mexiko, Island und Japan im Erwerbsleben. Am frühesten scheiden Männer in Frankreich und Belgien aus. Frauen in der Slowakischen Republik, Polen und Slowenien.

Eine ältere Frau sucht im Mülleimer nach Pfandflaschen. Foto: Martin Schutt dpa
Zukunft für Alte in Deutschland: Flaschen sammeln statt auskömmlicher Rente?Bild: picture-alliance/dpa

Schwache Gegenmaßnahmen

Um ein auskömmliches Rentenniveau im Alter einigermaßen zu erhalten, veränderten die Hälfte der OECD-Länder inzwischen ihre Rentensysteme oder passten sie an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen an. Dazu gehören zum Beispiel das steigende Angebot von Mini-Jobs, die steigende Anzahl befristeter Arbeitsverträge und die damit immer weiter verbreiteten Lebensläufe, in denen sich Phasen von Arbeit sowie Verdienst mit Zeiträumen von Arbeitslosigkeit rasch abwechseln.

In Deutschland wurde die Altersgrenze, ab der man berechtigt ist, eine staatliche Rente regulär in voller Höhe zu beziehen, von 65 auf 67 Jahre erhöht. Andere Länder senkten die Rentenhöhe. Darauf läuft es auch in Deutschland hinaus. Eine Rentenbesteuerung wurde schon eingeführt und die Anteile der Renten, die einer Besteuerung unterliegen, steigen in den nächsten Jahren stufenweise an. Das führt automatisch zu geringeren Renten. Dass dies rechtmäßig ist, bestätigte am Dienstag das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht.

Ein weiterer Umbau der Rentensysteme ist in den OECD-Ländern im Gespräch. In Deutschland kursieren Überlegungen, Selbstständige, die aktuell noch davon befreit sind, künftig auch zu verpflichten, in das staatliche System einzuzahlen. Außerdem könnte man sich, so Pläne im Bundesarbeitsministerium, schrittweise von einer beitragsabhängigen Rente verabschieden. Länder, die diesen Weg beschritten haben, bieten dann im Alter nicht mehr 40 bis 50 Prozent des früheren Durchschnittsverdienstes, sondern nur noch 22 Prozent. Ein bitterer Prozess ist für künftige Rentner in jedem Fall im Gang.