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RechtsstaatlichkeitDeutschland

Deutschland: AfD verliert vor dem Verfassungsgericht

18. September 2024

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat keinen Anspruch auf den Vorsitz in Ausschüssen des Deutschen Bundestags. Über Gerichtsurteile mit langer Vorgeschichte.

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Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestags mit dem Bundesadler an der großen Glaswand hinter den Bänken der Bundesregierung und des Bundesrates. Ihnen gegenüber sitzen die Abgeordneten.
Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestags, in dem die Abgeordneten debattieren und über Gesetze entscheidenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Wenn im Deutschen Bundestag über ein Gesetz debattiert und am Ende abgestimmt wird, ist die wichtigste Arbeit schon erledigt: die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs mit vielen Paragrafen und Erläuterungen. Das Recht dazu haben die Bundesregierung, die Länderkammer (Bundesrat) und vor allem der Deutsche Bundestag. Dort, im Parlament, kümmern sich 25 ständige Fachausschüsse um die Gesetzestexte.

Dabei geht es um unterschiedlichste Themen: Sicherheit und Verteidigung, Kultur und Medien, Arbeit und Soziales, Außen- und Entwicklungspolitik. In den Ausschüssen sitzen Abgeordnete aller Fraktionen. Dabei gilt: Je größer eine Fraktion ist, desto mehr Plätze bekommt sie. In der Geschäftsordnung, die sich der Bundestag selbst gegeben hat, steht in Paragraf 12 aber auch: "…die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen ist im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen." 

Der AfD stehen theoretisch drei Ausschuss-Vorsitze zu

Aus dieser Formulierung leitete die in einigen deutschen Bundesländern vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestufte Alternative für Deutschland (AfD) einen automatischen Anspruch ab. Auf der Basis des Ergebnisses bei der Bundestagswahl 2021 wären das drei Ausschuss-Vorsitze gewesen. Allerdings haben die von ihr vorgeschlagenen Abgeordneten in mehreren Wahlgängen die dafür benötigte Mehrheit verfehlt.

Urteil: AfD bleibt rechtsextremistischer Verdachtsfall

Deshalb klagte die Partei vor dem Bundesverfassungsgericht. Nun hat die höchste juristische Instanz in Deutschland ihr einstimmiges Urteil gesprochen und die Klage der AfD zurückgewiesen.

Bei Wahlen schwimmt die Partei schon länger auf einer Erfolgswelle. In den Bundesländern Sachsen und Thüringen erzielte sie Anfang September 30-Prozent-Ergebnisse. Das könnte ihr auch am 22. September in Brandenburg gelingen. Niederlagen vor Gericht haben der AfD in der Vergangenheit nicht geschadet.  

Was ist ein Abbild des Parlamentsplenums?

In der Begründung zum jetzt ergangenen Urteil wird zwischen der Größe eines Ausschusses und dem Vorsitz unterschieden. Grundsätzlich müsse jeder Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Parlamentsplenums sein und dessen Zusammensetzung widerspiegeln, heißt es. Dies erfordere eine möglichst getreue Abbildung der Stärke der im Plenum vertretenen Fraktionen. Aber: "Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gilt hingegen nicht für Gremien und Funktionen, die lediglich organisatorischer Art sind."

Mit Blick auf Ausschussvorsitzende versteht das Bundesverfassungsgericht darunter geschäftsleitende und repräsentative Aufgaben: Sitzungen vorbereiten, dazu einladen und sie leiten. Dann folgt ein Satz, der im Zusammenhang mit der AfD von besonderer Bedeutung ist: "Die Vorsitzenden sind bei der Wahrnehmung ihrer amtlichen Aufgaben gehalten, parteipolitische Neutralität zu wahren."

Drei Richterinnen in roten Roben und mit roter Kopfbedeckung stehen nebeneinander. Die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König (M.), verkündet ein Urteil und hält dafür ein weißes Blatt Papier in der Hand.
AfD-Urteile des Bundesverfassungsgerichts, verkündet und begründet von der Vorsitzenden des Zweiten Senats, Doris König Bild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

2019 wurde ein Ausschuss-Vorsitzender der AfD abgewählt

Aus der Sicht der Bundestagsmehrheit erfüllt die AfD diesen Anspruch schon länger nicht mehr. Deshalb kam es im November 2019 zu einem Novum in der deutschen Parlamentsgeschichte: Der damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Stephan Brandner, wurde mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgewählt. Auslöser waren insbesondere Tweets des AfD-Abgeordneten im Kurznachrichtendienst Twitter (heute X).

So hatte der Jurist nach dem rechtsextremistischen Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale (Bundesland Sachsen-Anhalt) zwischen "deutschen" Opfern und denen in Moscheen und Synagogen unterschieden. Und dass der Sänger Udo Lindenberg mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden war, bezeichnete Brandner als "Judaslohn" für seine kritische Haltung gegenüber der AfD.

"Das Recht auf ein faires Verfahren wurde gewahrt"

Seine Abwahl als Vorsitzender im Rechtsausschuss sei nicht zu beanstanden, urteilte das Verfassungsgericht und wies damit eine weitere Klage der AfD ab. Mitglieder der Fraktion hätten im Ausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. "Das Recht auf ein faires Verfahren wurde damit gewahrt", heißt es in der Begründung.

Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner steht im Saal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe; hinter ihm hängt eine Skulptur des Bundesadlers an der hellbraun getäfelten Wand.
Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner wurde 2019 als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag abgewähltBild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

Unterschiedliche Reaktionen Urteile des Verfassungsgerichts

Brandner, der 2021 erneut in den Bundestag gewählt worden war, bewertete die Niederlage vor dem Verfassungsgericht als "schwarzen Tag für den Parlamentarismus in Deutschland". Abgeordnete anderer Parteien sind mit dem Urteil hingegen zufrieden. "Niemand kann gezwungen werden, Abgeordnete einer Partei in Ämter zu wählen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde", sagte der Freidemokrat (FDP) Christoph Hoffmann.

Er leitet stellvertretend den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, auf dessen Vorsitz die AfD spekuliert hatte. Dazu stellt auch das Verfassungsgericht klar: "Eine nach Maßgabe der Geschäftsordnung zulässige Wahl zur Besetzung eines parlamentarischen Leitungsamtes kann nur eine freie Wahl sein." Damit unvereinbar wäre es, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte.

FDP-Entwicklungspolitiker ist erleichtert

Um den Vorsitz im Entwicklungsausschuss hatte sich vergeblich der AfD-Abgeordnete Dietmar Friedhoff beworben. Er soll nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) im rechtsextremen Medien-Blog "PI-News" Beiträge geschrieben haben. Der Verfassungsschutz stellte den Blog 2021 unter Beobachtung.

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Der FDP-Entwicklungspolitiker Hoffmann sagte nach der Urteilsverkündung, die Besetzung seines Ausschusses mit einem Vorsitzenden aus der AfD wäre "unseren Partnern im globalen Süden nur schwer erklärbar". Die Entwicklungszusammenarbeit sei eine Art Visitenkarte Deutschlands. "Wenn diese Visitenkarte einen Politiker mit völkischen oder rassistischen Tendenzen ausweist, wäre das mehr als problematisch, ja schädlich für unser Land."

Auch im Bundestagspräsidium hat die AfD keinen Platz

Die AfD ist damit erneut mit dem Versuch gescheitert, im Bundestag Leitungsfunktionen einzuklagen. Bereits im Jahr 2022 hatte das Verfassungsgericht geurteilt, die Fraktion habe keinen Anspruch auf einen Platz im Bundestagspräsidium. Auch dafür haben ihre Abgeordneten nie die notwendige Stimmenmehrheit bekommen.  

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland