Deutschland bewegt sich auf Marokko zu
15. Dezember 2021Es gab keine Pressemitteilung und erst recht keinen Auftritt der neuen Außenministerin Annalena Baerbock. Aber bei einem heiklen Thema der deutschen Außenpolitik hat das Auswärtige Amt in diesen Tagen einen weit mehr als nur symbolischen Schritt getätigt. Und es hofft nun auf eine Wiederannäherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko.
"Aus Sicht der Bundesregierung ist es im Interesse beider Länder, wieder zu dem traditionell breiten und guten Verhältnis zurückzukehren", sagte ein hochrangiger Diplomat des Auswärtigen Amtes.
Wenige Tage nach dem Regierungswechsel von der großen Koalition zum SPD-geführten Ampel-Bündnis mit FDP und Grünen änderte das deutsche Außenministerium auf seiner Homepage die Informationen zu den bilateralen Beziehungen. Marokko sei "sowohl politisch als auch kulturell und wirtschaftlich ein wichtiges Bindeglied zwischen Nord und Süd", heißt es da.
"Zentraler Partner" in Nordafrika
Für Deutschland und die Europäische Union sei das Land "zentraler Partner" in Nordafrika. In den vergangenen zehn Jahren habe das Land "umfangreiche Reformen auf den Weg gebracht" und spiele "eine wichtige Rolle für die Stabilität und nachhaltige Entwicklung in der Region". All das sind Formulierungen der Anerkennung, die sich in der vorherigen Fassung des Textes nicht fanden.
Bei all dem Lob gilt: Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern sind derzeit ausgesprochen schwierig. Nach wachsenden Kontroversen, bei denen es unter anderem, aber nicht nur um den Status der Westsahara ging, rief die marokkanische Regierung im Mai ihre Botschafterin aus Berlin zurück.
Zugleich gibt es in Rabat keine Kontakte mehr mit dem dort tätigen deutschen Botschafter. Das marokkanische Außenministerium begründete den Schritt damals mit "feindlichen" Aktionen: "Deutschland hat wiederholt feindselig gegen die höheren Interessen des Königreichs Marokko gehandelt."
Als einer der Gründe wurde damals das deutsche Vorgehen im Konflikt um die Westsahara genannt. Der Gebietsanspruch Marokkos auf die südlich der Landesgrenze gelegene Westsahara, die bis 1975 zur Kolonialmacht Spanien gehörte, wird international nicht anerkannt.
Ende 2020 hatte indes der schon abgewählte, aber noch amtierende US-Präsident Donald Trump einseitig Marokkos Souveränität über das Gebiet bestätigt. Das sorgte dafür, dass Deutschland eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats einberief.
Lösung der Westsahara-Frage?
Nun betont ein Diplomat des Außenamts in Berlin die seit Jahrzehnten unveränderte Haltung der Bundesregierung zur Westsahara-Frage. Deutschland unterstütze Staffan de Mistura, den persönlichen Gesandten des UN-Generalsekretärs, "bei seinem Streben nach einer gerechten, dauerhaften und für alle Seiten akzeptablen politischen Lösung".
Auf der Homepage findet sich nun bei diesem Thema auch der Hinweis darauf, dass Marokko im Jahr 2007 "mit einem Autonomie-Plan einen wichtigen Beitrag" für eine Einigung eingebracht habe.
Die Hoffnung auf eine Rückkehr zu vollen diplomatischen Beziehungen hat vielfältige Aspekte. Marokko gilt als ein Land, das in vielfacher Hinsicht Motor sein kann und ist für den gesamten nordafrikanischen Raum. Seit vielen Jahren laufen erfolgreiche Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Derzeit hoffen Europäer auf wirtschaftliche Kooperationen, etwa im Energiesektor, wo Marokko weiter ist als andere Länder der Region. Auch beim Ringen um eine Befriedung des Libyen-Konflikts engagiert sich Rabat seit langem.
"Die Brücke nach Afrika"
Aber das Land hat auch eine Rolle im interkulturellen und interreligiösen Gespräch. Als Papst Franziskus Ende März 2019 das Land besuchte, begegnete er einen konservativen, aber toleranten Islam und würdigte, das Land sei "die Brücke von Europa nach Afrika und von Afrika nach Europa".
Nach der Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Marokko fällt der Blick neu auf die lange und breite jüdische Tradition des Landes am Atlantik. In Marokko gibt es das einzige jüdische Museum der arabischen Welt.