Flüchtlingsziel Nummer Eins
22. März 2014Krieg, politische Verfolgung, Völkermord - jedes Jahr werden Hunderttausende Menschen zu Flüchtlingen, weil sie den Lebensbedingungen in ihrem Heimatland entkommen wollen. 2013 gab es nach UN-Angaben mehr als 600.000 Asylbewerber, die Zuflucht in einem Industrieland suchten. Das beliebteste Ziel: Deutschland, mit rund 110.000 Asylanträgen. Auf Platz zwei folgt mit 88.000 Bewerbungen die USA. Da Asylverfahren in Deutschland mindestens ein Jahr und manchmal auch deutlich länger dauern, weiß man noch nicht, wieviele der Asylbewerber tatsächlich in Deutschland bleiben werden.
Die UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR gab am Donnerstag (20.03.2014) bekannt, dass die Zahl der Asylbewerber weltweit so hoch sei wie seit 2001 nicht mehr. Ein Grund dafür sind laut UNHCR lang andauernde gewalttätige Konflikte wie der Bürgerkrieg in Syrien. Aber warum beantragen so viele Menschen gerade in Deutschland Asyl?
Wirtschaftliches Wunderland oder kleineres Übel?
"Das hat sicherlich etwas mit unserer wirtschaftlichen Situation und der sozialen Stabilität in unserem Land zu tun", sagt Manfred Rekowski, leitender Geistlicher der Evangelischen Kirche im Rheinland, der DW. Diese engagiert sich stark bei der Betreuung von Asylbewerbern, die bereits in Deutschland sind.
Bernd Mesovic von der Organisation Pro Asyl sieht den Grund für die hohe Anzahl von Asylbewerbern in Deutschland jedoch woanders. Für einige Flüchtlinge sei Deutschland die zweite Station ihrer Reise, sagt er. "Viele sind in einem anderen EU-Staat bereits registriert gewesen", so der stellvertretende Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation. In Italien oder anderen Ländern an den Außengrenzen der EU machten sie aber oft schlimme Erfahrungen: "Da treffen viele dieser Asylsuchenden auf kaum vorhandene, extrem mangelhafte Aufnahmesysteme, wo viele von ihnen ungerechtfertigter Weise in Haft landen oder nicht versorgt werden", sagt Mesovic. "Ein Teil der Flüchtlinge schlägt sich dann nach Deutschland durch, in der Hoffnung, dass es besser ist."
Besonders für diese Menschen stehen die Chancen auf Asyl in der Bundesrepublik allerdings schlecht. In der Europäischen Union gilt die Regel, dass der EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Flüchtling zuerst ankommt. Wenn also Menschen in Deutschland Asyl beantragen, die zuvor schon in Italien registriert wurden, setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge alles daran, diese Asylbewerber zurückzuschicken.
Schlechte Chancen für Asylbewerber aus dem Balkan
Mesovic geht auch noch aus einem anderen Grund davon aus, dass viele der 110.000 Asylanträge vom letzten Jahr abgelehnt werden: nicht wenige stammen aus sogenannten "sicheren Staaten" wie den Balkanländern. Als sicher gelten Länder, in denen keine politische Verfolgung oder menschenunwürdige Bestrafungen stattfinden.
"Es gibt jetzt ein Gesetzgebungsverfahren, mit dem die Bundesregierung auf die vielen Asyl-Antragstellungen aus Staaten des Westbalkans reagieren will", sagt Mesovic. Das Ziel: Serbien, Bosnien und drei andere Länder offiziell auf die Liste der "sicheren Länder" zu setzen, damit die Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern schneller abgelehnt werden können. Der stellvertretende Pro Asyl Geschäftsführer findet das absurd. "Man hat aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes ein paar Sätze zitiert, aber sich mit den Menschenrechtsproblemen in den betroffenen Staaten gar nicht auseinandergesetzt", empört sich Mesovic.
'Deutschland muss mehr leisten
Für Flüchtlinge aus Syrien sieht die Situation besser aus. Keiner bezweifelt, wie katastrophal die Situation in ihrem Heimatland ist. Deutschland hat zugesagt, ein Kontingent von 10.000 syrischen Flüchtlingen aufzunehmen. Von ihnen sind allerdings erst rund 3500 in Deutschland angekommen. Denn die Auswahl erfolgt nach strengen Kriterien. Zusätzlich stellten 2013 11.900 weitere Syrer, die auf anderen Wegen nach Deutschland gekommen sind, Asylanträge. Damit sind sie laut Statistk die größte Gruppe der Asylbewerber in Deutschland.
Die große Zahl der Asylanträge zeigt: Das Kontingent ist viel zu klein. Das findet auch Manfred Rekowski von der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ende vergangenen Jahres forderte die Kirche die Bundesregierung auf, die Anzahl auf 100.000 zu erhöhen.
Andere Länder müssen unglaublich viel schultern", sagt Rekowski der DW. "Wenn über zwei Millionen Menschen in den Nachbarländern Syriens Zuflucht finden, die wirtschaftlich wesentlich schwächer sind als Deutschland, dann müssen wir uns fragen, was wir leisten können." Mit dem Kontingent der 10.000 dürfe es nicht getan sein.
Kritikern, die befürchten Deutschland könne die Last von so vielen Flüchtlingen nicht tragen, hält Rekowski das Beispiel des Bosnienkrieges von 1992 bis 1995 entgegen. In dieser Zeit nahm Deutschland allein aus diesem einen Konfliktgebiet mehr als 320.000 Flüchtlinge auf - dreimal so viel wie die Gesamtmenge der Asylanträge, die 2013 in Deutschland eingingen.