Deutschland: Bundeskanzler Olaf Scholz bricht mit der FDP
6. November 2024Es wirkt, als ob eine riesige Anspannung von Olaf Scholz abfällt. Der Bundeskanzler, dem oft vorgeworfen wird, nur zu drögen Regierungserklärungen in der Lage zu sein, gibt sich entschlossen: Am späten Mittwochabend (6.11.2024) verkündet er im Kanzleramt in Berlin, warum er gerade seinen Finanzminister Christian Lindner entlassen hat. Damit verschwinden die Liberalen aus der Regierung, für wenige Wochen will Scholz nun ein Minderheitskabinett aus seinen Sozialdemokraten und den Grünen anführen. Oft wird von politischen Paukenschlägen gesprochen, die keine sind. Diese Ankündigung ist ein Paukenschlag.
Olaf Scholz: "Musste Schaden vom Land abwenden"
"Ich war zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden.", begründet Olaf Scholz seinen Schritt. Noch im Laufe des Tages habe er dem Finanzminister ein "umfassendes Angebot unterbreitet, die Lücke im Haushalt von rund 10 Milliarden Euro zu schließen."
Diese Lücke war einer der Streitpunkte, die die drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP zuletzt entzweit hatte.
Eine Abrechnung mit FDP-Chef Christian Lindner
Aber Lindner hatte auch eine ganze Reihe von in der Koalition nicht abgesprochenen Maßnahmen gefordert: Noch mehr Kürzungen beim Bürgergeld, weniger Klimaschutz, Steuersenkungen für die Unternehmen. Und damit seine Partner immer wieder gereizt.
Aber auch das letzte Angebot von Scholz, zu einem gemeinsamen Haushalt zu kommen, habe Lindner, der FDP-Chef, abgelehnt, so der Kanzler.
Und schon in der Vergangenheit habe Lindner viele Vorschläge ausgebremst: "Der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen. Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten." Der eigene Finanzminister - eine Zumutung? Mit leichtem Beben in der Stimme verkündet Scholz diese Abrechnung, die auch eine persönliche ist.
Kanzler Scholz wollte vier Schwerpunkte setzen
Und er zählt auf: Er habe seinen drei Regierungsparteien vorgeschlagen, sich jetzt, trotz aller Streitereien, auf vier Kernpunkte zu konzentrieren: Bezahlbare Energiekosten für die Wirtschaft, Rettung von Jobs in der kriselnden Autobranche, vor allem beim Volkswagen-Konzern. Eine Investitionsprämie, wie sich vor allem Vizekanzler Robert Habeck von der Grünen fordert. Und schließlich eine noch stärkere Unterstützung für die Ukraine. Nichts von all dem sei mit Lindner noch zu machen gewesen. Also Ende der Ampel, und eine rot-grüne Minderheitsregierung für kurze Zeit, bis in den Januar. Dann will der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, also das Parlament bitten, seine Politik insgesamt mit Mehrheit zu stützen. Die wird er dann wohl verlieren, und so wäre dann der Weg zu Neuwahlen im Frühjahr frei.
Eine Aufforderung an die Opposition CDU/CSU
Einmal in Fahrt, vergisst Scholz dann auch nicht, die Opposition der Konservativen von CDU und CSU mit ins Boot zu holen. Er werde, so Scholz, dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz vorschlagen, bei zwei Punkten zusammen zu arbeiten: Bei Schritten zur besseren Ausstattung der Bundeswehr und zur Stärkung der Wirtschaft: "Denn unsere Wirtschaft kann nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben. Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren."
Ein lange vorbereitete Kampfansage?
Mit entschlossener Stimme, den Blick fest nach vorne gerichtet, trägt Scholz all das vor. Seine Rede ist so voller Details, das kaum vorstellbar scheint, dass der Kanzler sich all das so erst heute zurechtgelegt hat. In knapp 20 Minuten: Entlassung des Finanzministers von der FDP aus seiner Regierung, Druck auf die Opposition, der Minderheitsregierung jetzt in schwere Zeit jetzt zu helfen.
Ein Appell an die Bürger
Am Ende schafft er dann auch noch einen Appell an alle Deutschen, jetzt nach vorn zu blicken. Scholz erwähnt den Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA: "Wer in den vergangenen Wochen einen Blick in die USA geworfen hat, der hat ein Land erlebt, das tief zerrissen ist. Ein Land, wo politische Unterschiede Freundschaften und Familien zerstört haben." Das dürfe so in Deutschland nicht passieren.
Ohne Fragen zuzulassen, geht Olaf Scholz dann in die Nacht. Nach der sicher eindrucksvollsten Rede seiner Amtszeit. Deutlich wird, wieviel Frust sich in diesem Mann angestaut hat in den letzten Wochen. Ob die Politiker seiner Regierung und vor allem die die Opposition seinen Plan mittragen, ist zwar mehr als ungewiss. Aber für den Moment scheint Olaf Scholz, der so oft zögerlich und gequält wirkte, mit sich im Reinen zu sein.