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Nicht irritieren lassen

Sabine Kinkartz, Berlin16. Juni 2016

Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau sind derzeit reichlich unterkühlt. Der Wirtschaft passt das gar nicht ins Konzept. Deutsche und polnische Unternehmen wollen nur eins: Gute Geschäfte machen.

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Fahnen Deutschland Polen
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Drei Flaggen sind vor der Berliner Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen gehisst: die deutsche, die polnische und die europäische. Das Haus ist Gastgeber für einen deutsch-polnischen Wirtschaftskongress. Mit einem Handelsvolumen von rund 17 Milliarden Euro ist das Bundesland Polens wichtigster Handelspartner in Deutschland. Von den 16 Millionen Einwohnern in NRW haben mehr als 560.000 polnische Wurzeln, sie sind die größte Zuwanderergruppe aus der EU.

Doch weil es fast windstill ist, hängen die Flaggen vor der Landesvertretung an diesem Vormittag schlaff und unbeweglich herunter. Ein Bild mit Symbolkraft: Zu keiner Zeit seit der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft vor 25 Jahren waren die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Warschau erstarrter als jetzt. Deutschland ist mit dem nationalkonservativen und europakritischen Kurs der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nicht einverstanden, vor allem in der Flüchtlings-, Justiz- und Medienpolitik. In Warschau wiederum verbittet man sich jede Form der Kritik und Einmischung.

Wirtschaft und Politik bedingen sich

Auf dem Berliner Wirtschaftskongress wird die politische Eiszeit so gut es geht ausgeblendet. Deutsche und Polen machen auf beiden Seiten der Grenze immer bessere Geschäfte und die Unternehmer wünschen sich nichts mehr, als dass es so bleibt. "Politik und Wirtschaft sind wesentliche Treiber für gute Nachbarschaft und bedingen sich wechselseitig", sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, und dabei schwingt ein warnender Unterton mit.

Pictureteaser 25 Jahre gute Nachbarschaft

In den letzten drei Jahren ist das deutsch-polnische Handelsvolumen um ein knappes Viertel auf rund 100 Milliarden Euro angewachsen. Für die Polen ist Deutschland wichtigster Handelspartner, umgekehrt ist Polen vom achten auf den siebten Platz aufgestiegen. "Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen haben sich in den letzten Jahren so stark entwickelt wie mit kaum einem anderen Land, mit dem Deutschland Handel betreibt", so Schweitzer, der selbst als Unternehmer in Polen aktiv ist. Das sei ein ermutigendes Zeichen für einen intensiven politischen Dialog, fügt er hinzu.

Deutlich nationalere Töne

Ein Dialog, den die Polen mit großem Selbstbewusstsein führen. "Soll ich deutsch, englisch oder polnisch sprechen?", fragt der stellvertretende Regierungschef und Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki, als er ans Rednerpult tritt. Mit Platz sieben oder acht als Handelspartner Deutschlands will er sich nicht zufrieden geben. "Wenn man Polen und Tschechien, die wie Brüder sind, summiert, dann haben wir für Deutschland schon jetzt die gleiche Bedeutung wie China", sagt Morawiecki und kündigt mehr Effizienz in der polnischen Wirtschaft an.

Er spricht von Innovation und Digitalisierung in der Industrie und von einem Wirtschaftswachstum, das 2015 bei 3,6 Prozent lag und in diesem Jahr voraussichtlich bei 3,7 Prozent. Dass dieses Wachstum auch Folge von höheren Staatsausgaben ist, von mehr Kindergeld und mehr Rente, sagt Morawiecki nicht.

Der polnische Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki und sein deutscher Kollege Sigmar Gabriel im Januar in Warschaupicture-alliance/dpa/B.von Jutrczenka
Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki und sein deutscher Kollege Sigmar Gabriel im Januar in WarschauBild: picture-alliance/dpa/B.von Jutrczenka

Den polnischen Arbeitgeberverband hat er trotzdem auf seiner Seite. "Die Wirtschaft Polens steht vor dem Betreten eines neuen Weges der verantwortlichen und nachhaltigen Entwicklung - auch Morawiecki-Plan genannt", sagt Verbandspräsident Andrzej Malinowski. Die Unternehmer hätten sich in den letzten Jahren an vielem gestört und wirtschaftspolitische und gesetzgeberische Veränderungen gefordert. "Diese Veränderungen sind jetzt zum Greifen nah."

Polen profitiert von EU-Finanzen

Dem selbstbewussten Auftritt der polnischen Gäste setzt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel demonstrative Gelassenheit entgegen. "Heute sind Polinnen die zweithäufigste ausländische Ehepartnergruppe deutscher Männer. Ich weiß nicht, wie es umgekehrt ist, aber jedenfalls gehört auch das zur neuen Normalität", sagt er und sorgt damit hörbar für Erheiterung bei den Unternehmern.

Dann wird der Minister wieder ernst und versucht es mit einem Exkurs in die Geschichte. Bei einem Besuch in Krakau habe er gelernt, dass dort bis ins 17. Jahrhundert "Magdeburger Recht" gegolten habe. Nicht, weil dort so viele Deutsche gelebt hätten, sondern weil das damit zusammenhängende Handelsrecht durch die Hanse in ganz Europa gegolten habe. "Es gab also auch früher schon gute Zeiten zwischen Deutschen und Polen, wo die Nationalität keine so große Rolle gespielt hat, sondern das Interesse am gemeinsamen Fortkommen."

Polen Sigmar Gabriel besucht ehemaliges Konzentrationslager Ausschwitz
Sigmar Gabriel kürzlich in Auschwitz: "Wunder, dass Deutsche und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg wie gute Nachbarn und Freunde zusammenleben können."Bild: picture-alliance/dpa/S. Rozpedzik

Europa spielt in den Ausführungen des Ministers eine große Rolle. Der wirtschaftliche Aufstieg Polens hänge mit dem Beitritt zur Europäischen Union zusammen, führt er klipp und klar aus. "Polen profitiert erheblich von den finanziellen Unterstützungen durch die Strukturfonds." Der deutsch-polnische Handel sei ein Wachstumsmotor für Europa. "Polen bleibt ein Investitionsmagnet für ganz Mitteleuropa."

Sich nicht irritieren lassen

Den drohenden "Brexit", also einen EU-Austritt der Briten, kommentiert Gabriel so, dass er auch für die europakritische polnische Regierung gelten könnte: "Unsere Kinder und Enkel könnten uns möglicherweise verfluchen, weil wir Europa nicht zusammengehalten haben." Ungeachtet der angespannten politischen Großwetterlage müsse man am gemeinsamen Fortkommen arbeiten. "Ich kann Ihnen versichern, dass sich die beiden Wirtschaftsminister gut verstehen", sagt Gabriel an die Unternehmer gewandt und betont, es sei wichtig, "sich nicht irritieren" zu lassen "von manchen tagesaktuellen Auseinandersetzungen".