Recycling
1. Juni 2012Wenn über die Zukunftsfähigkeit eines Landes gesprochen wird, dann geht es meistens um Lohnkosten. Welche Rolle inzwischen die Materialkosten spielen, ist vielen gar nicht bewusst. Jedes Jahr werden in Deutschland Rohstoffe im Wert von einer halben Billion Euro verarbeitet. Ihr Anteil an den gesamten Produktionskosten liegt im deutschen produzierenden Gewerbe inzwischen bei 45 Prozent. Löhne haben nur noch einen Anteil von 18 Prozent.
Ressourceneffizienz, so sagt Katherina Reiche, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, sei daher eine absolute Notwendigkeit. "Eine zentrale Umwelt-, Wettbewerbs-, auch Macht- und Wohlstandsfrage des 21. Jahrhunderts wird sein: Wer schafft es am intelligentesten, mit weniger Einsatz von knappen, teuren Rohstoffen gut und wettbewerbsfähig zu produzieren?" Diesen Wettbewerb, so Reiche, wolle Deutschland gerne gewinnen.
Rohstoffe aus dem Müll fischen
Dabei helfen soll die Wiederverwertung von Abfällen, das Recycling. Welche Schätze im Müll verborgen sind, zeigt sich schon bei den Mobiltelefonen. Bis zu 100 Millionen Stück sollen allein in deutschen Haushalten herumliegen und in einer Tonne Handy-Schrott ist 60-mal mehr Gold enthalten, als in einer Tonne Golderz. Ein Schatz, der bislang – wenn überhaupt – in der grauen Tonne, also dem Hausmüll landet.
Um dessen Potenzial dreht sich alles im sogenannten "Kreislaufwirtschaftsgesetz", das am 1. Juni bundesweit in Kraft tritt. Das Gesetz ist eine Novelle des bisherigen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. Dass der Begriff "Abfall" im Titel nicht mehr vorkommt, ist Programm. Denn zukünftig geht es, wie Staatssekretärin Reiche deutlich macht, um eine Stufenfolge aus Abfallvermeidung, Wiederverwendung, Recycling und sonstige, zum Beispiel energetische Verwertung von Abfällen. "Die Ressource Abfall soll nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft möglichst effizient bewirtschaftet und genutzt werden, damit in größerem Umfang Sekundärrohstoffe zur Verfügung stehen."
Es lohnt sich, den Schatz zu heben
Recycling ist schon jetzt ein lukratives Geschäft. So ist die privatwirtschaftliche Berliner Alba Group inzwischen mit einem jährlichen Umsatzvolumen von rund 3,2 Milliarden Euro und rund 9.000 Mitarbeitern in rund 200 Tochter- und Beteiligungsunternehmen in Deutschland und weiteren zwölf europäischen Ländern, sowie in Asien und den USA aktiv. Der Gesamtumsatz der Entsorgungsbranche beläuft sich in Deutschland auf 50 Milliarden Euro.
Die "Green Economy", so prognostiziert Alba-Vorstandsmitglied Eric Schweitzer, werde in zehn Jahren in Deutschland eine größere Bedeutung haben, als es heute die Automobilindustrie hat. "Wir haben im vergangenen Jahr sieben Millionen Tonnen Rohstoffe recycelt und der Industrie wieder zur Verfügung gestellt und wir haben mit dem, womit unsere Kunden uns beauftragen, sechs Millionen Tonnen CO2 eingespart, das ist ungefähr ein Prozent der gesamten deutschen CO2-Emissionen."
1995, so erklärt Schweitzer habe der Anteil der Sekundärrohstoffe an den in Deutschland verbrauchten Rohstoffen nur zwei bis drei Prozent betragen. 2011 seien es schon dreizehn Prozent gewesen – "und sie können sich vorstellen, wohin das wachsen wird".
Wem gehört der Müll?
Ein Wachstum, von dem allerdings auch die Kommunen profitieren wollen. Sie sind in Deutschland qua Gesetz für die flächendeckende Entsorgung des Hausmülls zuständig. Um zu verhindern, dass private Entsorger, die schon jetzt mit dem Verpackungs- und Kunststoffmüll gute Geschäfte machen, sich nun auch noch den Elektroschrott aus dem Hausmüll herauspicken, haben die Kommunen während des Gesetzgebungsverfahrens zur Kreislaufwirtschaft alle Hebel in Bewegung gesetzt. Mit Erfolg. Private Entsorger sollen nur noch dann zum Zuge kommen, wenn sie "deutlich leistungsfähiger" als die Kommunen sind. Für Eric Schweitzer ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz damit aber eine "vertane Chance". Nur sechzehn Prozent dessen, was in der "Grauen Tonne" lande, sei tatsächlich Restmüll. "44 Prozent sind organische Materialien, Stichwort Biomasse. Es sind immer noch 20 Prozent Wertstoffe drin, wie Verbundmetalle, Kunststoffe, Holz und ähnliche Dinge, es sind immer noch 20 Prozent Papier und Glas drin."
Die Kommunen, so lautet Schweitzers Vorwurf, hätten doch gar kein Interesse daran, den Hausmüll zu recyceln, weil sie ihn für die Befeuerung ihrer Müllverbrennungsanlagen brauchen würden. Die seien in Zeiten steigender Recyclingquoten immer weniger ausgelastet.
Wertstofftonne soll kommen
Die Bundesregierung weiß um diesen Konflikt und arbeitet zurzeit an einem neuen Wertstoffgesetz. Wenn laut Kreislaufwirtschaftsgesetz ab 2015 die getrennte Sammlung von Biomüll, Papier-, Metall-, Kunststoff- und Glasabfällen verpflichtend wird, soll bundesweit auch eine Wertstofftonne eingeführt werden. Der orangefarbene Müllbehälter würde die gelben Tonnen oder Säcke ersetzen, in denen derzeit ausschließlich Verpackungsabfälle gesammelt werden.
Ein "seit 20 Jahren bewährtes, privatwirtschaftliches Konzept", wie Staatssekretärin Reiche betont. "Es hat sich hervorragend entwickelt, weil viele technologische Entwicklungen ohne die private Wirtschaft, ohne das Engagement und die Innovationsbereitschaft der privaten Wirtschaft gar nicht möglich gewesen wären." Für die Weiterentwicklung dieses Konzeptes gelte, dass es sich lohnen müsse. An die Adresse der Kommunen gerichtet formuliert Reiche: "Es braucht einen fairen Kompromiss, aber nicht ein Ausreizen bis zum 'Es-geht-nicht-mehr'."
Man werde die Entwicklung genau im Auge behalten, so Reiche und wenn nötig, gesetzlich nachsteuern. Die privaten Entsorger werden das mit Interesse gehört haben.