Deutschlands Kampf gegen die Impfmüdigkeit
4. Juli 2021Die Kampagne, die die Menschen hierzulande seit einem halben Jahr dazu bewegen soll, sich impfen zu lassen, hat den schönen Namen "Deutschland krempelt die Ärmel hoch". 25 Millionen Euro hat sich die Bundesregierung die Plakate, Fernsehspots und Online-Informationen kosten lassen, und wahrscheinlich ist die Kampagne in diesen Tagen wichtiger denn je.
Denn Deutschland, mit über 55 Prozent Geimpften mit einer Dosis und 38 Prozent Vollgeimpften, steuert mit Riesenschritten auf den Punkt zu, der als entscheidend für die Pandemiebekämpfung gilt: Nur wenn sich auch die Unentschlossenen und Impfskeptiker pieksen lassen, sind die von Wissenschaftlern geforderten 85 bis 90 Prozent für die Herdenimmunität drin.
Das Problem ist bloß: Vor allem sie können mit der Kampagne herzlich wenig anfangen.
Impfkampagne verfehlt die wichtigste Zielgruppe
"Gerade die Menschen, die wegen der Impfung verunsichert oder negativ voreingenommen sind, wurden durch die Kampagne überhaupt nicht erreicht", sagt Steffen Egner. Der Gründer und Geschäftsführer von MediaAnalyzer hat mit seinem Marktforschungsinstitut 500 Menschen zur Wirkung von "Deutschland krempelt die Ärmel hoch" befragt. Müsste er der Kampagne eine Schulnote geben, wäre es eine 3 oder 4. Weil sie keine Impfbereitschaft dort schafft, wo sie – noch – nicht vorhanden ist.
"Wir wissen im Moment zu wenig über die Impfskeptiker, wir kennen sie nicht. Und das ist der Riesenunterschied zu den meisten Werbekampagnen, wo die Marken genau wissen, wer ihre Kundschaft ist", kritisiert Egner. Gerade einmal jeder Fünfte der Unentschlossenen sieht die TV-Spots gerne, sie werden nicht emotional genug angesprochen, sagen sie. "Eine solche Kampagne muss richtig adressiert sein, und sie braucht ein klares Motiv, wie zum Beispiel, die Freiheit wiederzuerlangen", so der Marktforscher.
Impfskeptiker durch Aufklärung überzeugen
Die Frau, die von sich behauptet, in nur einer Viertelstunde noch jeden Unentschlossenen von einer Impfung überzeugt zu haben, setzt vor allem auf Aufklärung. Wenn Christine Falk mit Impfskeptikern redet, kommt die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie immer wieder auf den gleichen Punkt.
"Dieses Virus spielt Russisch Roulette mit den Leuten, und man kann nie sagen, wen es dann doch schwer trifft. Die Impfung ist der beste Schutzschild, den man sich ganz persönlich selbst verpassen kann. Die Menschen, die sich nicht impfen lassen, müssen damit rechnen, dass sie sich früher oder später anstecken."
Absagen in den Impfzentren Zeichen von Impfmüdigkeit?
Doch trotzdem scheint sich in Deutschland eine gewisse Impfmüdigkeit breitzumachen, einige Impfzentren berichten von Terminabsagen, vor allem bei den Zweitimpfungen. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein spricht auf Anfrage der DW von einer Quote von sechs Prozent nicht wahrgenommener Impftermine, das Phänomen sei allerdings nicht neu.
In Berlin wurde dagegen in den vergangenen Wochen jeder fünfte Termin abgesagt oder verschoben. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) berichtet ebenso von Terminabsagen in Sachsen. Auch in Brandenburg bleiben Zweittermine immer häufiger ungenutzt, und die Landesgesundheitsministerien von Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern bestätigen diesen Trend.
Der Präsident des Berliner DRK, Mario Czaja, schlägt für solche Fälle Bußgelder von 25 bis 30 Euro vor. Ähnliches sei teilweise bei niedergelassenen Ärzten bereits gängige Praxis. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und einzelne Vertreter der Union haben sich Forderungen nach Strafzahlungen angeschlossen.
Das nordrhein-westfälische Landesgesundheitsministerium in Düsseldorf glaubt nicht an eine Impfmüdigkeit und sagt gegenüber der DW: "Wenn Personen nicht zu ihren Terminen für Zweitimpfungen in den Impfzentren erscheinen, heißt das im Umkehrschluss nicht automatisch, dass sie sich nicht impfen lassen. Vielmehr agiert eine ganze Reihe von Impflingen so, dass sie sich dort impfen lassen, wo sie am schnellsten einen Termin erhalten, zum Beispiel in einer Arztpraxis oder durch den Betriebsarzt."
Zweitimpfung bei der Delta-Variante noch wichtiger
Auf die Zweitimpfung zu verzichten könnte im Hinblick auf die Delta-Variante, die laut Robert Koch-Institut jetzt schon mindestens die Hälfte der Neuinfektionen ausmacht, fatale Folgen haben. "Die zweite Impfung ist deshalb so gut, weil die Antikörper sich messbar verbessern. Man braucht die zweite Impfung, damit ein immunologisches Gedächtnis für das Virus entsteht", sagt Falk, "gerade bei Delta ist der Unterschied, wie effektiv ich geschützt bin, durch eine zweite Impfung um ein Vielfaches höher."
Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie denkt schon einen Schritt weiter und plädiert wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für eine dritte Impfung im Herbst oder Winter, gerade bei den Risikogruppen. "Bei den Altenheimen könnte man jetzt sagen, die Impfung hat super funktioniert, das wird schon reichen. Aber darauf möchte ich mich nicht verlassen, vor allem bei Delta nicht, einfach um auf der sicheren Seite zu sein. Wir können von Transplantierten jetzt schon lernen, dass eine dritte Impfung nochmal etwas bringt."
Wie sinnvoll sind Anreize für die Impfung?
Die Risikogruppen braucht man für Impfungen nicht groß zu motivieren. Einige Politiker wollen die Impfskeptiker jetzt durch ein Bonussystem für den Pieks gewinnen. So wie in den USA, wo Unentschlossene mit Donuts, Joints oder auch einer Jagderlaubnis für die Impfung geködert werden. Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP kann sich zum Beispiel Freikarten für Freizeitparks oder Museen vorstellen.
Stefan Schulz-Hardt hat mit diesem Vorschlag ein wenig Bauchschmerzen. Kurzfristig könne man sicherlich mit Geschenken als Anreiz einen Effekt erzielen, langfristig hält der 1. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie dies eher für kontraproduktiv: "Das signalisiert irgendwie, das ist etwas Fragwürdiges. Das muss ja schon belohnt werden, damit Leute das machen. Das kann auch Wasser auf die Mühlen von Gegnern sein, und es kann vor allen Dingen auch Personen, die indifferent sind, auf die andere Seite bringen."
Deutschland muss jetzt, da sind sich alle Experten einig, die Unentschlossenen und Skeptiker ins Visier nehmen. Die Impfverweigerer von der Spritze zu überzeugen ist dagegen ähnlich aussichtslos wie Cristiano Ronaldo für einen Schluck Coca-Cola zu begeistern. "Das sind überproportional häufig Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben oder generell misstrauisch sind. Und es gibt gewisse Korrelationen mit populistischen und insbesondere rechten Überzeugungen", sagt Schulz-Hardt.
Die Bundesregierung will übrigens eine zusätzliche Werbekampagne mit Hilfe von Prominenten und Influencern auflegen, um die Impf-Unwilligen zu motivieren. Start: in diesen Tagen.