Deutschlandtrend: Jamaika kann kommen
12. Oktober 2017Knapp drei Wochen liegt die Bundestagswahl inzwischen zurück und in Berlin bewegt sich nur wenig. Das liegt daran, dass am kommenden Sonntag in Niedersachsen Landtagswahlen stattfinden. Da halten die Parteien lieber noch kurz die Luft an. Nur keinen Streit, keine Aufruhr, nichts, was den Wähler verschrecken könnte. Deshalb haben bis jetzt auch keine Sondierungsgespräche zwischen den potenziellen zukünftigen Regierungspartnern CDU, CSU, FDP und Grüne stattgefunden.
Ob es daran liegt, dass sich die politische Stimmung in Deutschland seit den Bundestagswahlen nicht wesentlich verändert hat? Die sogenannte Sonntagsfrage im jüngsten ARD-Deutschlandtrend von infratest dimap würde das Wahlergebnis vom 24. September jedenfalls weitgehend bestätigen.
Die Union könnte aktuell mit 32 Prozent rechnen, am Wahlsonntag hatte sie 32,9 Prozent erzielt. Die SPD läge mit 20 Prozent ebenfalls nahe am Wahlergebnis (20,5 Prozent). Die AfD würde mit aktuell elf Prozent schwächer abschneiden (12,6 Prozent). Die FDP (elf Prozent) und die Linke (zehn Prozent) bestätigen jeweils ihre Wahlergebnisse (10,7 bzw. 9,2 Prozent), während die Grünen mit zehn Prozent aktuell etwas besser abschneiden würden als am Wahltag vor knapp drei Wochen (8,9 Prozent). Auf alle anderen Parteien zusammengenommen entfielen sechs Prozent.
Parteien sollen sich einigen
Am kommenden Mittwoch sollen nun sogenannte Sondierungsgespräche starten. Zunächst will die Union mit der FDP und den Grünen jeweils separat sprechen. Zwei Tage später soll es dann ein erstes gemeinsames Treffen geben. Bei diesen Sondierungen geht es allein um die Frage, ob eine Zusammenarbeit der so ungleichen Partner überhaupt möglich ist. Erst wenn diese Frage bejaht wird, würden konkrete Koalitionsverhandlungen begonnen.
Die Mehrheit der Deutschen würde das begrüßen. Die Bundesbürger stehen aktuell einem sogenannten Jamaika-Bündnis (CDU/CSU, Grüne und FDP) derzeit sogar deutlich offener gegenüber als noch vor der Bundestagswahl: 57 Prozent finden eine Jamaika-Koalition sehr gut oder gut, 40 Prozent sehen ein solches Bündnis kritisch. Noch im August stand eine Mehrheit diesem Bündnis ablehnend gegenüber (27:69 Prozent).
Dreiviertel aller Befragten gehen davon aus, dass sich die vier Parteien einigen werden. Sollten die Verhandlungen scheitern, dann käme rein rechnerisch auch die Fortsetzung der großen Koalition zwischen Union und SPD in Frage. Nach den schlechten Wahlergebnissen für die amtierende Regierung und der Entscheidung der Sozialdemokraten, in die Opposition zu gehen, findet eine Große Koalition aber nur noch bei einem Drittel der von infratest dimap befragten Bürger eine positive Resonanz.
Kanzlerin und rechte Flanke
Dass Angela Merkel aller Voraussicht nach auch in den nächsten vier Jahren als Kanzlerin regieren wird, stößt bei knapp zwei Drittel der Befragten auf Zustimmung. Allerdings fällt ihr Rückhalt deutlich niedriger aus als vor vier Jahren, als noch 71 Prozent eine Fortführung ihrer Kanzlerschaft positiv bewerteten. Im Ranking der beliebtesten Politiker bekleidet Merkel diesmal Platz zwei, geschlagen wird sie nur von ihrem langjährigen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der für das Amt des Bundestagspräsidenten kandidieren wird.
Schäuble ist einer von denen, die in der CDU als besonders konservativ gelten. Angela Merkel hingegen hat die Christdemokraten in den vergangenen Jahren politisch mehr in die Mitte manövriert - oft gebremst von der Schwesterpartei CSU mit ihrem Chef, dem bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Nach den Verlusten der Union bei den Bundestagswahlen will die CSU nun nicht mehr nur bremsen, sondern gerne den Rückwärtsgang einlegen. Bei den von infratest dimap befragten Wahlberechtigten kommt das gar nicht so gut an.
Nur 20 Prozent der Befragten plädierten dafür, dass die Union in den kommenden vier Jahren wieder konservativer werden sollte. Eine breite Mehrheit sprach sich dafür aus, dass CDU und CSU ihren bisherigen Kurs beibehalten, beziehungsweise noch weiter in die Mitte rücken sollten. Die Rolle der CSU als Bewahrerin konservativer Positionen in der Union bleibt davon allerdings unberührt. Über alle Parteigrenzen hinweg findet das jeder zweite Befragte gut. Bei den Anhängern der CSU sind es sogar 58 Prozent, bei den Anhängern der CDU 53 Prozent.
Wieviel Macht hat die CSU?
Tendenziell kritisch wird hingegen das Verhalten der CSU gegenüber der Schwesterpartei bewertet: Knapp sechs von zehn Befragten sind der Ansicht, dass die CSU durch ihr Verhalten die Union insgesamt schwächt. Knapp die Hälfte der Bundesbürger findet, dass die CSU unverhältnismäßig viel Macht in der Union hat - eine Ansicht, die auch fast jeder zweite CDU-Anhänger teilt.
Der Kompromiss zwischen CDU und CSU in der Flüchtlings- und Asylpolitik stößt indes mehrheitlich auf Zustimmung: Das "Regelwerk zur Migration" finden 56 Prozent der Bürger gut, 41 Prozent finden es nicht gut. In der Unions-Anhängerschaft befürworten sieben von zehn Befragten die Beschlüsse von Merkel und Seehofer.
Wie umgehen mit der AfD?
Auch zur AfD, der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland, wurden im ARD-Deutschlandtrend Meinungen abgefragt. Nachdem die Partei in den Bundestag eingezogen ist, debattieren die übrigen Parteien darüber, wie sie sich in Zukunft gegenüber der AfD verhalten sollen. Sollen sie die Zusammenarbeit suchen, von Fall zu Fall über eine Zusammenarbeit entscheiden oder eine Zusammenarbeit mit der AfD generell ausschließen? Eine knappe Mehrheit der Bürger ist der Meinung, dass man das von Fall zu Fall entscheiden müsse.
Grundsätzlich stehen die Bundesbürger der AfD eher abwartend gegenüber. Dies hat nach Ansicht der Meinungsforscher auch damit zu tun, dass die AfD das größte Glaubwürdigkeitsdefizit aller Parteien hat: Nur 25 Prozent der Wahlberechtigten sind der Meinung, dass die AfD vor der Wahl ehrlich gesagt hat, was sie nach der Wahl durchsetzen möchte. SPD und CSU kommen auf 36 Prozent, CDU und Linke auf 38 Prozent. Am besten schneiden bei der Glaubwürdigkeitsfrage die Grünen (48 Prozent) und die FDP (45 Prozent) ab.