DHB-Auswahl mit Chancen und Sorgen
11. Januar 2017Die deutschen Handballer sind vor der WM längst kein Geheimtipp mehr. Und auch die Spieler der DHB-Auswahl wissen, dass sie momentan als eines der nominell stärksten Teams gesehen werden. "Natürlich will ich jetzt Weltmeister werden", sagt nicht nur Torhüter Andreas Wolff. Vor gut einem Jahr war er für ähnlich ambitionierte Sätze vor der Europameisterschaft noch belächelt worden. Dann holte die Mannschaft von Bundestrainer Dagur Sigurdsson sensationell den Titel, und die deutsche Rolle in der Handball-Welt veränderte sich. "Wir gehören in Frankreich zu einem Kreis von sechs Mannschaften, die bei der WM zu den Favoriten zählen. Den Anspruch haben wir nun einfach", sagt Rückraumspieler Paul Drux.
Dass Drux und der Rest der DHB-Auswahl aktuell gut drauf sind, zeigten die deutlichen Siege in der WM-Vorbereitung gegen Rumänien (30:21) und Österreich (33:17). Trotzdem geht Bundestrainer Sigurdsson mit Sorgen in das erste WM-Spiel am Freitag gegen Ungarn (17.45 Uhr MEZ), denn zahlreiche Stammkräfte fehlen. Darunter erfahrene Top-Spieler wie Steffen Weinhold, Martin Strobel oder Hendrik Pekeler, die verletzt oder aus Belastungsgründen ausfallen. Wegen des plötzlichen Todes seines Vaters ist Kapitän Uwe Gensheimer zu seiner Familie in Mannheim gereist - es ist fraglich, ob er für das erste Spiel bereit steht.
Weltmeister Glandorf auf Abruf
Zumindest in der Vorrunde muss Sigurdsson daher auf einen komplett neu formierten Rückraum setzen. Wenn es in die entscheidende Phase des Turniers geht, könnte er aber auf einen erfahrenen Joker setzen: Weltmeister Holger Glandorf hatte gegen Österreich nach über zwei Jahren Pause sein überraschendes Comeback im DHB-Trikot gefeiert. Doch nach dem Spiel reiste er zunächst wieder nach Hause, wo er sich mit der SG Flensburg-Handewitt auf die Rückrunde in der Bundesliga vorbereitet und sich auf Abruf bereit hält. "Wenn etwas passieren sollte, stehe ich parat", betonte Glandorf.
Auch ohne Glandorf ist das Erreichen des Achtelfinales für die DHB-Auswahl wohl nur reine Formsache. In den insgesamt vier Sechsergruppen schaffen die jeweils besten vier Teams den Sprung in die K.o.-Runde. Neben Ungarn heißen die deutschen Gegner Kroatien, Chile, Saudi-Arabien und Weißrussland. Das deutsche Team trägt alle Vorrundenspiele im nordfranzösischen Rouen aus.
Zunächst aber hat Sigurdsson nur die erfahrenen Ungarn im Kopf, vor denen er großen Respekt hat. "Die werden das sehr clever angehen, die spielen seit mehreren Wochen sehr gut. Unsere Chancen stehen 40 zu 60", gibt sich der Isländer eher skeptisch. Auf seiner Meldeliste stehen neben dem abwesenden Gensheimer nur 14 weitere Spieler. Statt der maximal erlaubten 16 Akteure hält sich Sigurdsson so die Option für eine Nachnominierung offen. "Wenn etwas passiert, wollen wir auf jeder Position reagieren können", sagt er und denkt dabei besonders an Holger Glandorf.
Für Sigurdsson ist es ein besonderes Turnier, denn nach der WM nimmt er Abschied vom deutschen Team. Der Isländer wechselt nach Japan, wo er die momentan allenfalls zweitklassige Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio fit machen soll.
Frankreich zwischen Euphorie und Sicherheitsbedenken
Noch vor den Deutschen gilt Gastgeber Frankreich mit seiner "Goldenen Generation" um die früheren Bundesliga-Stars Thierry Omeyer, Daniel Narcisse und Nikola Karabatic als WM-Topfavorit. Auch Olympiasieger Dänemark, Spanien und Kroatien werden hoch gehandelt.
Wie bei der Fußball-EM in Frankreich und den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro spielt der Sicherheitsaspekt für die Veranstalter eine große Rolle. Frankreich wurde in den vergangenen Jahren immer wieder von Terror erschüttert. "Die Fußball-EM war gerade beim Thema Sicherheit ein großer Erfolg, und wir wollen von deren Erkenntnissen und Erfahrungen profitierten, was die Abläufe und die Kooperation aller Beteiligten betrifft", sagte David Donelly, der Chef des Organisationskomitees dem Magazin "Handballwoche".
Mit einem Etat von 30 Millionen Euro wollen die Organisatoren laut ihrem Motto "Phenomenal Handball" bieten. Dabei dürfte auch ein neuer Rekord aufgestellt werden: Bei den möglichen Achtel- und Viertelfinal-Partien der Franzosen könnten bis zu 27.500 Zuschauer die Equipe Tricolore im Fußballstadion von Lille anfeuern und damit die bisherige Top-Marke der WM 2007 in Deutschland knacken. Damals waren bei drei Spielen in Köln jeweils 20.500 Zuschauer in der Halle.
asz/sn (dpa, sid)