Die 40.000-Mann-Drohkulisse
26. April 2014Es ist eine eindeutige Drohgebärde: Bis zu 40.000 Soldaten hat Russland nach NATO-Angaben an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. An mehr als 100 Standorten seien Panzer, Hubschrauber, Artillerie, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge und Logistikeinheiten stationiert. Sie stehen dort seit mehreren Wochen, manche der Einheiten sind nur 40 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. So beschrieb es der Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen NATO-Hauptquartier, Brigadegeneral Gary Deakin, Mitte April.
Was hat Russlands Präsident Wladimir Putin vor? Diese Frage stellen sich Militärs, Politiker und viele Experten. Auf Putins Aussage, er werde keine Truppen in den Osten der Ukraine schicken, könne man sich nicht verlassen, schreibt der Journalist Alexander Golz in der regierungskritischen "Moscow Times". Andererseits: Zur Besatzung größerer Gebiete sei die russische Armee nicht bereit, weil sie sich mitten in einem Reformprozess befinde.
Russische Armee verkleinert
Denn Russland hat - unter anderem wegen sinkender Bevölkerungszahlen - seine Armee verkleinert. Zehntausende Offiziere seien entlassen, hunderte "nicht kampfbereite" Truppenteile geschlossen worden, so Golz. Bis zu der Reform verfolgte Russland das Konzept Quantität statt Qualität: die Massenmobilisierung mit einigen Millionen Reservisten. Nun stellt die Regierung auf schnelle Eingreiftruppen um. In diesen Einheiten, so Golz, diene schon ein Großteil der 50.000 Vertragssoldaten, die die Streitkräfte jährlich verpflichten. Wie gut das mit dem schnellen Eingreifen funktioniert, hat die Krim-Krise gezeigt.
Eine Eroberung und dauerhafte Besatzung größerer Gebiete, etwa der Regionen Donezk, Charkiw oder Luhansk in der Ostukraine, würde die Armee jedoch vor größere Herausforderungen stellen: 100.000 Soldaten wären laut Golz mindestens nötig, um das Gebiet abzusichern - ein Achtel der gesamten Armee. Die Besatzungsmacht müsse quasi eine Grenze mit Checkpoints an allen großen Straßen errichten.
Auch Kristian Pester von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sähe in einem solchen Fall die "Gefahr der Überdehnung." Denn es erfordere weit mehr Kräfte und sei viel schwieriger, die Kontrolle über ein besetztes Gebiet langfristig zu behalten, als einen erfolgreichen Angriff durchzuführen, so der Experte auf "Focus online". Zu einem schnellen Angriff sei die russische Armee aber durchaus fähig: Zumindest der Kern der Verbände an der Grenze zur Ukraine gilt als gut ausgerüstet, mit modernen Panzern, Kampfjets und Kurzstreckenraketen.
Putin lässt die Muskeln spielen
Anders die ukrainische Armee: Sie hat 200.000 Soldaten, die gegenüber der Regierung in Kiew nicht alle loyal sind, und ihre Ausrüstung ist miserabel. Sie besteht vor allem aus Resten alter Sowjet-Bestände, seit Jahren sind Waffen und Maschinen nicht erneuert worden. "Die ukrainische Armee ist 20 Jahre lang durch die ukrainischen Oligarchen und Angehörige des ukrainischen Staatsdienstes geplündert worden", sagte kürzlich der Osteuropa-Experte Ewald Böhlke des Berthold-Beitz-Zentrums in Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Sie ist dementsprechend in einem fürchterlichen Zustand und völlig demoralisiert."
Dementsprechend erfolglos war der "Anti-Terror-Einsatz" der ukrainischen Regierung gegen prorussische Separatisten in Slowjansk - obwohl Interimspräsident Alexander Turtschinow dafür bis zu 11.000 Mann in Marsch gesetzt haben soll.
Putin ließ daraufhin die Muskeln spielen: Er reagierte mit einem Manöver in Grenznähe. Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigte Militärübungen der Bodentruppen im Süden und Westen an sowie der Luftwaffeneinheiten, die an der Grenze patrouillieren. Bereits Ende Februar hatte Russland in der Grenzregion ein Manöver abgehalten zur "Prüfung der Bereitschaft in Krisensituationen sowie bei militärischer Bedrohung".
Doch auch der Westen verstärkt seine Militärpräsenz. Die USA stationierten in der vergangenen Woche 150 Mann im polnischen Swidwin. Zudem wollen sie bald 450 Soldaten in die baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen bringen. Die Truppenstationierungen seien durch "bilaterale" Vereinbarungen mit den betreffenden Regierungen zustande gekommen, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Sie seien keine NATO-Entscheidung.