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Die Angst vor dem Domino-Effekt

Christoph Hasselbach29. Januar 2015

Viele Regierungen im nördlichen Europa befürchten, der Syriza-Sieg in Griechenland könne eine Anti-Sparkurs-Welle in anderen Ländern auslösen. In diesem Fall stünde die gesamte europäische Sparpolitik auf dem Spiel.

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Syriza-Unterstützer mit Spruchband "Gute Nacht, Frau Merkel" Foto: picture-alliance/dpa/M. Kappeler
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der Wahlsieg von Alexis Tsipras in Griechenland ist für viele europäische Regierungen ein Betriebsunfall, und zwar ein ziemlich schwerer. In einem früheren Wahlkampf, 2012, als das Linksbündnis Syriza bereits antrat, hatten politisch so unterschiedliche europäische Staats- und Regierungschefs wie die christdemokratische deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der sozialistische französische Staatspräsident François Hollande und der parteilose damalige italienische Ministerpräsident Mario Monti vor Syriza gewarnt.

Dabei hatten sich sowohl Hollande als auch Monti gegen die als deutsches Spardiktat empfundene europäische Konsolidierungspolitik gewandt und hätten Tsipras deswegen vielleicht als Verbündeten sehen können. Doch Tsipras schien ihnen erstens als zu radikal. Und zweitens sind Frankreich und Italien auch Gläubiger Griechenlands. Beide Länder befürchten, so wie die anderen Kreditgeber auch, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlt. "Verpflichtungen wurden eingegangen und müssen nun auch eingehalten werden", stellte Hollande nach dem Wahlausgang in Griechenland noch einmal vorsorglich klar.

Sofort Pflöcke eingeschlagen

Tsipras und Stellvertreter Panos Kammenos Foto: AFP/Getty Images/L. Pitarakis
Tsipras (r.) und sein Stellvertreter Panos Kammenos bieten Brüssel die Stirn.Bild: AFP/Getty Images/L. Pitarakis

Doch Tsipras hat sofort das Ende der Sparpolitik verkündet und will wichtige Reformen nicht nur stoppen, sondern sogar rückgängig machen. Trotzdem glaubt Janis Emmanouilidis, Griechenlandkenner von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre, "dass es Raum für einen Kompromiss gibt". Der "Fehlstart" der neuen Regierung werde "zu der Einsicht führen, dass gewisse Dinge zu weit gehen". Es dürfte stattdessen langwierige Verhandlungen um Rückzahlungsbedingungen geben. Und allen Dementis aus Berlin und Brüssel zum Trotz können sich viele Politiker begrenzte Schuldenerleichterungen für Athen durchaus vorstellen.

Ob die Grundvereinbarung - Kredite gegen Sparen und Reformieren - bestehen bleibt, werde davon abhängen, so Emmanouilidis, "was Syriza anbieten kann". Wenn Tsipras zum Beispiel beim Umgang mit den Oligarchen oder beim Kampf gegen Steuerhinterziehung "etwas anbieten kann, was über das hinausgeht, was Vorgänger angeboten oder umgesetzt haben", könne es am Ende einen Kompromiss geben.

Jetzt sehen viele ihre Stunde gekommen

Doch es geht nicht nur um Griechenland. Was die stabilitätsorientierten Länder wie Deutschland in Unruhe versetzt, ist die Aussicht auf eine gesamteuropäische Protestwelle, die den bisherigen mühsamen Konsens in der Finanzpolitik hinwegfegen könnte. Jetzt hofft zum Beispiel in Spanien die neue Linkspartei Podemos (Wir können) auf einen Sieg bei den Parlamentswahlen im Herbst. In Umfragen liegt Podemos im Moment knapp vor der regierenden Volkspartei und den Sozialisten. In Portugal formiert sich zur Zeit ebenfalls eine Bewegung nach Syriza-Vorbild. Italien und Frankreich - beide mit sozialistischen Regierungen - haben den bisherigen Kurs ohnehin nur widerwillig mitgetragen und immer wieder versucht, sich um Reformen herumzudrücken. Sie könnten den griechischen Wahlausgang zum "Vorwand nehmen, Kompromisse beim Sparkurs zu erzielen", meint Emmanouilidis.

Doch der Konsens ist nicht nur von links, sondern auch von rechts bedroht: In Frankreich pickt sich Marine Le Pen vom Front National die für sie passenden Aussagen der neuen griechischen Koalitionsregierung heraus. Dazu gehört nicht nur das selbstbewusste Auftreten gegenüber Brüssel, sondern auch das Verständnis für die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ähnlich sieht es die Lega Nord in Italien. Die Moskauer Zeitung "Nesawissimaja Gaseta" jubelt bereits: "Die neue griechische Regierung könnte der wichtigste Vorposten des Widerstands gegen antirussische Sanktionen der EU werden."

Siegesparade in Moskau Foto: Reuters
Die neue griechische Regierung zeigt Sympathien für die Politik Russlands.Bild: Reuters

Die Sparpolitik zeigt Früchte

Was die Finanzpolitik betrifft, so könnte ironischerweise der bisherige Konsens ausgerechnet zu einem Zeitpunkt in Gefahr geraten, wo sich fast überall die Früchte der Konsolidierung zeigen. Die Wirtschaft in Spanien und Portugal wächst wieder. Den Rettungsschirm konnte Portugal im Gegensatz zu Griechenland schon wieder verlassen.

Noch erfolgreicher ist Irland, das ebenfalls aus dem Hilfsprogramm aussteigen konnte und inzwischen traumhafte Wachstumszahlen hinlegt. Dort ist allerdings auch keine Syriza-ähnliche Bewegung in Sicht. Und auch in Griechenland selbst geht es wieder aufwärts. Ein interessanter Fall ist erneut Frankreich. Dort hat die Regierung nach langem Zaudern endlich ein paar Reformen angepackt, die diesen Namen verdienen, auch wenn die Wirtschaftsdaten so schlecht sind wie eh und je. Paris ist also vorsichtig und spät doch auf den Berliner Kurs eingeschwenkt, freilich nicht ohne zu betonen, das geschehe aus freien Stücken und habe mit deutschen Forderungen rein gar nichts zu tun.

Der Griechenlandkenner Emmanouilidis hält den Effekt des Wahlausgangs auf die europäische Politik denn auch für "nicht so groß, wie der eine oder andere annimmt". Griechenland sei wegen der Schwere der Probleme und des notwendigen Veränderungsprozesses ein "Sonderfall" innerhalb der Eurozone. Den Begriff "Zeitenwende" für Europa lehnt er ab. Einmal sei es noch viel zu früh, um Erfolg oder Misserfolg der neuen Regierung voraussagen zu können. Außerdem sei der Syriza-Sieg zwar innenpolitisch bedeutsam für Griechenland, werde sich jedoch nur begenzt auf die europäische Ebene auswirken.