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Die Arbeitslosen der Welt

Martin Koch25. Januar 2014

Die Weltarbeitsorganisation (ILO) zeichnet ein düsteres Bild: Mehr als 200 Millionen Menschen auf der Erde sind ohne Job. Immerhin: Bei der sozialen Absicherung entwickelt sich ein südamerikanisches Land besonders gut.

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Symbolbild Arbeitslosigkeit in Afrika
Bild: picture-alliance/dpa

Erst im Vergleich entfalten die Zahlen der ILO ihre ganze Wirkung: 202 Millionen Arbeitslose - so viele Einwohner hat Brasilien, das größte südamerikanische Land. Fünf Millionen Beschäftigungslose sind im vergangenen Jahr neu hinzugekommen - so viele Menschen leben in den beiden größten deutschen Städten Berlin und Hamburg.

Und die Tendenz geht weiter nach oben. Nach Berechnungen der Weltarbeitsorganisation werden in fünf Jahren schon 218 Millionen Menschen auf der Erde arbeitslos sein. Zum Teil kann das mit demografischen Entwicklungen erklärt werden: Wenn die Weltbevölkerung wächst, kann es in absoluten Zahlen auch mehr Arbeitslose geben.

Wirtschaftswachstum ja, weniger Arbeitslose nein

Die Experten der ILO haben jedoch eine Beobachtung gemacht, die sie für alarmierend halten: Obwohl sich die Volkswirtschaft in zahlreichen Ländern nach der Krise wieder deutlich im Aufwind befinde, habe sich das nicht auf den Arbeitsmärkten niedergeschlagen, sagt Ekkehard Ernst, einer der Autoren der Studie mit dem Titel "Global Employment Trends". "Wir befürchten, dass es eine sogenannte 'beschäftigungslose wirtschaftliche Entwicklung' geben wird über die nächsten ein bis zwei Jahre, die die hohe Arbeitslosigkeit nicht abbauen können wird."

Ekkehard Ernst
Ernst: Trotz Wirtschaftswachstum oft keine ArbeitsplätzeBild: Arne Lichtenberg

Weltweit liegt die Arbeitslosenquote laut ILO-Statistik bei sechs Prozent. Das klingt nicht nach viel angesichts von Werten von 17 oder gar 20 Prozent in Krisenländern wie Spanien und Griechenland. Doch dieser Eindruck täuscht, warnt Ekkehard Ernst: "Die Arbeitslosenquote von sechs Prozent kaschiert, dass es in vielen Entwicklungsregionen in Afrika, Lateinamerika und in Asien immer noch sehr viele Menschen gibt, die es sich gar nicht erlauben können, arbeitslos zu sein, weil es dort keine sozialen Sicherungssysteme gibt, und die zum andern in sehr prekären Beschäftigungsverhältnissen sitzen."

Krisenregionen und Musterknaben

In Südostasien liegt die Arbeitslosenquote zwar offiziell bei nur vier Prozent, die Region ist aber wegen der hohen Bevölkerungszahlen für 45 Prozent aller neuen Beschäftigungslosen verantwortlich.

Besonders hoch sind die Quoten in Nordafrika mit mehr als zwölf Prozent. Europa liegt mit Nordamerika und weiteren Industrieländern mit einem Wert von rund acht Prozent im Mittelfeld. Hier ist aber das Risiko, arbeitslos zu werden, besonders hoch.

Lobend erwähnt wird in dem Jahresbericht der UN-Arbeitsorganisation Lateinamerika. Die Arbeitslosigkeit stagniert zwar laut ILO-Bericht bei rund sechseinhalb Prozent. Aber in Ländern wie Argentinien oder Brasilien sei gerade im Bereich der sozialen Sicherungssysteme viel passiert, so die Autoren der Studie.

Transferleistungsprogramm der brasilianischen Regierung "Bolsa Familia"
In Brasilien erhalten arme Eltern Bonuszahlungen, wenn ihre Kinder regelmäßig zur Schule gehenBild: Vanderlei Almeida/AFP/Getty Images

Das bestätigt auch Eckart Michael Pohl, Pressesprecher der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in São Paulo, deren rund 1700 Mitgliedsunternehmen für insgesamt 250.000 Arbeitsplätze sorgen: "Der Mindestlohn in Brasilien ist von umgerechnet 50 US-Dollar vor zehn Jahren auf jetzt 350 US-Dollar angehoben worden. Darüber hinaus unterstützt die Regierung Arbeitnehmer, die den Mindestlohn nicht erreichen, mit einer Art Sozialhilfe. Und sie zahlt einen Zuschuss für Arme, damit diese ihre Kinder zur Schule schicken können."Auf diese Weise habe Brasilien es erreicht, dass mittlerweile 97 Prozent aller Kinder und Jugendlichen eine schulische Ausbildung erhalten.

Eckart Michael Pohl
Pohl: Die Schere zwischen Arm und Reich in Brasilien wird kleinerBild: Carlo Ferreri/AHK São Paulo

Verlorene Generation

Das sieht in vielen anderen Regionen der Welt ganz anders aus: Die Aussichten für Jugendliche insgesamt beschreibt der Bericht der Weltarbeitsorganisation als ausgesprochen schlecht. Weltweit sind 74,5 Millionen junge Menschen ohne Beschäftigung. Und wer von den jetzt 15- bis 24-Jährigen keinen Job hat, werde auch bei einem wirtschaftlichen Aufschwung viel stärker kämpfen müssen, um Arbeit zu bekommen.

"Das führt dazu, dass die Jugendlichen auch in den nächsten zehn Jahren noch mit höheren Arbeitslosenquoten zu kämpfen haben, mit niedrigeren Lohnentwicklungen, mit schlechteren Karriereaussichten. Das heißt, da wird sich langfristig eine Generation aufbauen, die wesentlich schlechter dasteht als die Generationen vor ihnen", lautet die Prognose von Ekkehard Ernst. Ganz zu schweigen von den Folgewirkungen für die Gesellschaften, in denen sie leben, ohne zu arbeiten: Sie nehmen die sozialen Sicherungssysteme in Anspruch, zahlen aber selbst nichts oder nur wenig ein. Und das werde dann auch die nachfolgenden Generationen belasten, so Ernst.

Davos Schweiz 2014 WEF Weltwirtschaftsforum
Die ILO will das Weltwirtschaftsforum in Davos für ihre Ideen gegen die Arbeitslosigkeit begeisternBild: Reuters

Trendwende ist möglich

Traditionell veröffentlicht die ILO ihren Jahresbericht im Januar kurz vor dem Weltwirtschaftsforum von Davos. Die dort versammelten Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler seien diejenigen, die den Negativ-Trend bei der Beschäftigung umkehren könnten, sagt Ekkehard Ernst. Sie müssten nur einige der ILO-Empfehlungen befolgen: "Zum einen, indem der Wachstumsmotor aufgedreht wird und zum andern mit spezifischen Arbeitsmarktpolitiken Anreize setzen, gerade auch für Jugendliche, eventuell fehlende Ausbildungen nachzuholen und sich umorientieren zu können."

Und dann könnte es in vielen Regionen zu einer ähnlichen Entwicklung kommen, wie Eckart Michael Pohl sie in Brasilien beobachtet: "Brasilien war lange Jahre eins der Länder mit den größten Unterschieden zwischen Arm und Reich, das fügt sich nach und nach immer mehr zusammen. Es ist noch weit davon weg, europäische oder gar deutsche Zustände zu haben, aber es verbessert sich."