Lebendige Architektur
10. Dezember 2009Enric Ruiz Geli liebt solche Auftritte: Der spanische Architekt steht, umringt von einer Traube Studenten, Politikern und Journalisten, vor dem Kunstzentrum Santa Mónica in Barcelona und erklärt die Architektur der Zukunft.
Häuser, die Strom produzieren
Der Vortrag ist improvisiert, die Botschaft kommt an: Häuser und Gebäude sind laut einer Studie der Vereinten Nationen für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Darum müsse grüne Revolution zur Rettung der Welt von Architekten und Städteplanern ausgehen, so Ruiz Geli. Sie müssten so bauen, dass das Haus keine fremde Energie benötigt oder selbst Strom produziert. Der Architekt spricht von dem Ideal von Null- oder Plus-Energie-Häusern. "Die wichtigste Unabhängigkeit ist die energetische", sagt Ruiz Geli. "Nur so können wir als Individuen nicht nur unser Umwelt-, sondern auch unser Gesellschafts-, Wirtschafts- und Politiksystem grundlegend ändern."
Der 41-jährige Architekt versteht sich als Impulsgeber. Gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler und Ökonomen Jeremy Rikfin hat Enric Ruiz Geli bei der Biennale von Venedig 2008 ein Manifest für grüne Architektur verfasst: In "A new green deal" fordert er neue architektonische Denkansätze, bei denen Hochtechnologie und Wissenschaften wie Materialkunde oder Ingenieurwissenschaften eine besondere Rolle zukommt. "Das 'new' in 'a new green deal' steht für diese Innovationskultur", erklärt er.
Lebendige Architektur
Wie es aussehen kann, wenn Hightech, Design und Nachhaltigkeit zu einem verschmelzen, zeigen Ruiz Gelis Entwürfe. Die Villa Nurb im katalanischen Ferienort Empuriabrava schwebt wie ein UFO auf Stelzen. Die Außenhaut aus Polycarbonatblasen sorgt nicht nur für interessante Lichteffekte, sondern lässt auch genug Wasser kondensieren, um damit den Garten zu gießen. Beim MediaTic in Barcelona hat der Architekt auf ein ähnliches Konzept gesetzt: Die Fassade des 27 Millionen Euro teuren Technologiezentrums ist mit einer Art Mosaik aus dreieckigen Luftkissen aus dem Kunststoff Efte bedeckt. Je nach Sonneneinstrahlung dehnen sich die teils mit Stickstoff gefüllten Planen aus oder ziehen sich zusammen. So kühlen sie das Gebäude zur richtigen Zeit am richtigen Ort und verleihen nebenbei der Fassade ein unverwechselbares Profil. "Diese organische, lebendige, wandlungsfähige Architektur entspricht der Ästhetik der Zukunft", glaubt Ruiz Geli.
Der Katalane bezeichnet das MediaTic als "digitale Pedrera": Das berühmte, von Antonio Gaudí entworfene Wohnhaus mit der wellenförmigen Fassade zählt zu jenen Bauwerken, die ihn nachhaltig beeindruckt und geprägt haben. Der Modernisme-Mitbegründer Gaudí gehört zu seinen großen Vorbildern. Architektur müsse eine Plattform für alle Künste bilden, fordert Ruiz Geli. "So wie Gaudí mit Kunstschmieden und Glaskünstlern zusammenarbeitete, müssen wir mit den Kunsthandwerkern des 21. Jahrhunderts kooperieren, mit Software-Entwicklern, Webart-Künstlern und Interface-Designern."
Mit Technik in die Zukunft
Ruiz Gelis Büro "Cloud Nine" ist zu einer Art Think Tank für rund zwanzig Informatiker, Ingenieure und Architekten geworden. Ein halbtransparenter Beton aus Glasfiber ist bereits patentiert. Erfindungen wie das Licht "Forest", sonnenlichtbetriebene LEDs, die je nach Stand der gespeicherten Energie in unterschiedlichen Farben strahlen, werden auch beim jüngsten Projekt, dem Umbau des New Yorker Aquariums, zum Einsatz kommen. "Das hippiehafte 'Zurück zur Natur' ist naiv", sagt Enric Ruiz Geli. "Die großen Utopisten haben immer auch auf Technik gesetzt."
Autorin: Julia Macher
Redaktion: Julia Kuckelkorn