Medien
5. Juni 2007DW-WORLD.DE: Ein verbotener Sender umgeht die staatliche Zensur, indem er auf YouTube weiter sendet: Könnte das weltweite Vorbildfunktion für reglementierte Medien haben?
Jan Schmidt: Das ist denkbar, denn schon vorher gab es bei Youtube und anderen Internet-Plattformen regelmäßige Beiträge von Autoren oder Organisationen, die sich als Teil einer Gegenöffentlichkeit verstehen und dort ihre Informationen, ihre Meinung und ihre Anliegen veröffentlichen. RCTV ist jetzt ein spektakulärer Fall, aber ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass das künftig auch in anderen Ländern passieren wird.
Werden sich solche Sender auch längerfristig halten können?
Dass diese Sender sich über Werbung finanzieren können, davon sind wir noch weit entfernt, weil die Zugriffszahlen für einen einzelnen Sender nicht hoch genug sind. Das primäre Interesse von RCTV war es erst einmal, Aufmerksamkeit zu erregen. Darüber könnten sie mittelfristig Spenden oder Unterstützung erhalten. Als werbefinanzierter Sender hat RCTV aber derzeit im Internet noch keine Chance, aber ich könnte mir vorstellen, dass sich in fünf bis zehn Jahren Modelle etabliert haben, wie zum Beispiel "Micropayment", die es dem User ohne großen Aufwand ermöglichen, einzelne Sendungen anzuklicken, für die man dann Kleinstbeträge zahlt.
Stärkt die Möglichkeit, über solche Internetportale zu senden, die Meinungs- und Pressefreiheit?
Einerseits sind die Hürden, die eigene Meinung zu veröffentlichen, ob mit Videos oder Bloggs oder Podcast, gesenkt worden und es ist deutlich leichter als vor ein paar Jahren. Selbst für interessierte Laien ist es inzwischen einfach, mit den entsprechenden technischen Möglichkeiten eine potentielle Öffentlichkeit zu erreichen.
Andererseits gibt es natürlich auch immer politische Tendenzen, diese Räume zu regulieren. Das wird ein ständiger Wettlauf zwischen der Veröffentlichung und dem Versuch, auf YouTube bestimmte Videos oder Inhalten löschen zu lassen. Letzteres wird aber nie vollständig gelingen, weil meist die Inhalte dann schon wieder kopiert und weiter verbreitet wurden. Aus Sicht der Regierungen, die ein Interesse haben, Meinungsfreiheit einzuschränken ist das schon eine Bedrohung.
Wenn Sender künftig in freien Internetportalen senden: Verändern sich dadurch journalistische Inhalte und Themen?
Nur weil es leichter geworden ist, Informationen zu verbreiten, heißt das nicht, dass es auch leichter geworden ist, ein Publikum für die eigenen Inhalten zu finden. Ein Großteil der Inhalte wird weiterhin nur von einem relativ kleinen Publikum, von fünf bis zehn Leuten wahrgenommen. Das ist von vielen Urhebern aber auch nicht anders vorgesehen.
Wie soll sich der User in der neu geschaffenen Informationsflut zurechtfinden?
Es findet weiterhin eine Einordnung und Filterung wie auch durch traditionellen Journalismus statt. Es wird nur nach der Veröffentlichung gefiltert - indem bestimmte Angebote von der "Redaktion" hervorgehoben werden, etwa als "featured clips", und indem die Nutzer selber selektieren. Sie klicken auf bestimmte Angebote, die dadurch populärer werden als andere: Es gibt zum Beispiel Übersichten über die 100 meist gesehenen oder kommentierten Videos.
Das ist allerdings eine andere Art der Filterung, als sie durch Journalisten vorgenommen wird, die nach möglichst objektiven Kriterien die relevantesten oder besten Themen herausfiltern. Hier treten die Themen hervor, die die Masse der Nutzer am populärsten findet. Das läuft unter der Überschrift: "Die Weisheit der Masse".
Ist diese "Weisheit der Masse" besser als traditionelle Medien?
Sie ist anders. Der Vorteil ist, dass es keine zentrale Instanz gibt, die Informationen nach manchmal auch intransparenten Kriterien filtert, sondern sich nur an den Vorzügen der User orientiert. Der Nachteil ist natürlich, dass dieses System Angebote bevorzugt, die populär sind. Insgesamt gibt es drei Filtermechanismen: Diese "Weisheit der Masse", außerdem die "Weisheit des eigenen Netzwerkes", indem der Nutzer sich darauf verlässt, dass ihm Teile seines sozialen Netzwerkes bestimmte Inhalte oder Links empfehlen und drittens wird es weiterhin den klassischen Filter geben durch "Gate Keeper", Journalisten oder Experten, die aus ihrem Blickwinkel bestimmen, welche Informationen relevant sind und veröffentlicht werden müssen.