Die Berlinale und der Sinn des Lebens
14. Februar 2003Das Motto der Filmfestspiele betont den ethischen Anspruch, den Filme haben können: "Towards tolerance", auf dem Weg zur Toleranz – und dahinter Berlinale mit einem großen Ausrufezeichen. Eine Auseinandersetzung mit den Problemen religiöser Toleranz ist damit allerdings nicht gemeint. Ein einziger Film im Wettbewerb, "In this world" von Michael Winterbottom, setzt sich mit den Folgen des 11. September auseinander: Er folgt fast dokumentarisch zwei Jugendlichen, die aus dem bombardierten Afghanistan flüchten.
Das Fremde, die Auferstehung und die Erkenntnis
Flüchtlingsschicksale an der Grenze zu Polen zeigt auch ein deutscher Wettbewerbsfilm, "Lichter" von Hans-Christian Schmidt. Beide Filme allerdings verstehen das konfliktreiche Fremde gesellschaftlich und geographisch, nicht religiös. Auch bei den Filmen ohne politisches Anliegen spielt die Auseinandersetzung mit institutionalisierter Religion oder theologisch-philosophischen Fragen kaum eine Rolle. Bestes Beispiel: die Neuverfilmung von "Solaris". Die Version von Andrej Tarkowski ist ein Klassiker theologischer Filminterpretation, mit ihren Fragen nach Auferstehung und Erkenntnis. Steven Soderbergh dagegen konzentriert die Begegnung mit dem Planeten Solaris, der die Astronauten mit ihren geliebten Toten konfrontiert, ganz auf eine Liebesgeschichte. Ähnlich versteht es Hauptdarsteller George Clooney. Ich glaube an das Individuum, so Clooney. "Keine Ahnung, ob das Gott ist." Und Regisseur Soderberg ergänzt: "Ich glaube an die Kunst, das ist meine Religion."
Auseinandersetzung mit Tod und Sterben
Doch bei aller betonten Diesseitigkeit stellen sich auch die Filme dieser Berlinale religiösen Fragen, in einem ganz existentiellen Sinn. Die Auseinandersetzung mit dem Tod, und daraus folgend: die Frage nach dem, was ein gelebtes Leben wirklich bedeutsam macht - das ist eine Art heimlicher Schwerpunkt. So erzählt "Wolfsburg" von Christian Petzold von der Fahrerflucht nach einem tödlichen Unfall und daran vom Umgang mit Schuld. In "My life without me" von Isabell Croix fragt sich eine junge Mutter nach der Krebsdiagnose, was sie eigentlich von ihrem Leben gehabt hat. Und findet das Glück ihrer kurzen letzten Monate gerade im alltäglichen Familienleben, nicht im erträumten Glück.
Die visuelle Kraft religiöser Bilder
Neben der Auseinandersetzung mit dem individuellen Tod, der individuellen Familiengeschichte nimmt sich ein Film "Local Angel" des israelischen Regisseurs Ubi Aloni fast schon exotisch aus: Er nutzt gerade die visuelle Kraft religiöser Bilder und sucht mit ihnen nach Antworten in den politischen und religiösen Konflikten Israels. Eine Ausnahme und ein Zeichen dafür, wie existentiell die Nahostkrise ist. "Ich verwende drei Bilder", sagt Aloni, "alle drei christlich: einmal die Statue des Engels auf einem Friedhof, dann eine Zeichnung vom Kreuz, die ich selbst gemacht habe, und das Bild der Pieta. Judentum und Islam haben keine Bilder, deswegen gewinne ich meine Bilder aus der hellenistisch-christlichen Tradition."