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Die brasilianische Sprachlosigkeit

Fernando Caulyt22. März 2014

Zur Annexion der Krim durch Russland hat sich Brasilien bislang kaum geäußert. Die Regierung Rousseff will die gemeinsamen Interessen nicht gefährden. Diese Neutralität könnte aber noch diplomatisch von Nutzen sein.

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G20 Gipfel Russland Sankt Petersburg Wladimir Putin und Dilma Rousseff
Bild: Reuters

Der Appell des ukrainischen Botschafters in Brasilien ließ an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. In einem Zeitungsbeitrag forderte Rostyslav Tronenko Brasilien auf, angesichts der Übernahme der Krim durch Russland nicht zu schweigen. "Wenn so etwas mit der Ukraine möglich ist, kann Vergleichbares auch mit jedem anderen Land geschehen. Wenn man so etwas zulässt, werden Regeln und Gesetze keinen Bestand haben", schrieb der Botschafter.

Zuletzt äußerte sich das brasilianische Außenministerium am Mittwoch (19.03.2014) zur Krise auf der Krim. In einer protokollarischen Note teilte es mit, die Krise müsse von den Ukrainern selbst gelöst werden. Bei einem Treffen in Paris bekräftigte der brasilianische Außenminister Luiz Alberto Figueiredo dies. Während sein französischer Kollege Laurent Fabius die ablehnende Haltung der Europäer betonte, zog Figueiredo es vor, sich neutral zu zeigen.

"Vager Begriff der Nicht-Einmischung"

Das Schweigen angesichts der schwersten Krise zwischen Russland und der westlichen Staatengemeinschaft seit dem Ende des Kalten Krieges ist Ausdruck des von Präsidentin Dilma Rousseffs ausgegebenen Prinzips der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Mit dieser Haltung unterscheidet sie sich von ihrem Vorgänger Lula da Silva: Dieser beteiligte sich zum Beispiel aktiv an der Suche nach einer Lösung in den Atomverhandlungen mit dem Iran. Auch für ein Ende des palästinensisch-israelischen Konflikts setzte er sich ein.

Die Präsidenten der BRICS-Staaten beim Gipfel in Sankt Petersburg, 5.9. 13 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

"Brasilien beruft sich auf einen vagen Begriff von Nicht-Einmischung. Diese Haltung steht in Widerspruch zur Politik, die Brasilien hinsichtlich der Krisen in Lateinamerika verfolgt", erklärt Marcos Troyjo, Politikwissenschaftler an der Columbia-University in New York und an der privaten Universität Ibmec in Rio de Janeiro.

Verlust internationaler Strahlkraft

Brasiliens internationaler Ruf leide nicht nur durch seine Haltung in der Krim-Krise, sagt Troyjo. Generell zeige das Land Schwächen, und zwar auf drei Gebieten: dem von Handel und Wirtschaft, von Politik und militärischem Engagement sowie dem seiner Werteorientierung. Das bleibe nicht ohne Konsequenzen: Die brasilianische "soft power" verliere an Strahlkraft.

Für Troyjo ähnelt die Haltung Brasiliens derjenigen Chinas. Die Regierung in Peking hatte sich bei der Sitzung des Sicherheitsrats zur Krim-Krise der Stimme enthalten. Einer Verurteilung von Moskaus vorgehen wollte sie sich nicht anschließen, mochte sich aber auch nicht auf Russlands Seite stellen. "Die Enthaltung Chinas und die Ambivalenz Brasiliens deuten auf eine vergleichbare Positionierung", erklärt der Ex-Diplomat José Botafogo Gonçalves.

Distanz zum Lagerdenken

Wie die chinesische ist auch die brasilianische Wirtschaft eng mit der russischen verbunden. Brasilien habe immer Wert darauf gelegt, sich dem Lagerdenken von Links und Rechts zu entziehen, sagt Botafogo Gonçalves. Das Land folge keiner bipolaren, sondern einer multipolaren Logik. Die BRICS-Gemeinschaft sei Ausdruck dieser Haltung.

Soja-Anbau in Cerrado, Bundesstaat Mato Gross, Januar 2013 (Foto: Getty Images)
In Russland begehrt: Landwirtschaftsprodukte aus BrasilienBild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

"In dieser Logik spielt Russland eine wichtige Rolle", sagt Marcos Troyjo. "Brasilien sieht sich selbst, die anderen BRICS-Staaten und andere Entwicklungsländer nicht nur als Schwellenmärkte, sondern als aufstrebende Mächte. Dieses Selbstverständnis geht über ökonomische Fragen weit hinaus. Es äußere sich auch in der Politik, auf internationaler ebenso wie lokaler Ebene." Dies zeige sich etwa in den weit gediehenen Verhandlungen zur Gründung einer gemeinsamen Entwicklungsbank. Dem aktuellen Zeitplan zufolge soll das Projekt bis zum nächsten BRICS-Gipfel im Juli in Fortaleza in Nordostbrasilien abgeschlossen sein.

Gemeinsame Interessen

Hinter der brasilianischen Zurückhaltung gegenüber der Krim-Annexion stehen zahlreiche Interessen. Brasilien ist Russlands bedeutendster lateinamerikanischer Handelspartner. Das bisherige Handelsvolumen von derzeit sechs Milliarden US-Dollar soll bis zum Ende des Jahrzehnt auf zehn Milliarden US-Dollar steigen.

Der Handelsaustausch zwischen beiden Ländern umfasst eine breite Produktpalette. Russland exportiert etwa Raumfahrttechnologie, atomare und fossile Energie sowie Chemiewaren. Brasilien liefert Rinder-, Schweine- und Hühnerfleisch, außerdem Soja, Zucker und andere landwirtschaftliche Produkte. Im Dezember 2012 reiste Präsidentin Rousseff nach Moskau, um die Beziehungen der beiden Länder weiter zu festigen. Dabei traf sie sich mit Präsident Putin und Premier Medwedew.

Proton-Rakete mit Glonass Satellit, 22.12. 2010 (Foto: dpa)
Brasilien träumt vom All, braucht dafür aber RusslandBild: picture-alliance/dpa

Künftige Vermittlerrolle?

"Ich halte es für ausgeschlossen, dass Brasilien auf Distanz zu Russland geht. Dafür sind die gemeinsamen Interessen der beiden Länder zu groß", erklärt Alberto Ramos, Präsident der Brasilianisch-Russischen Handelskammer.

Brasiliens schweigsame Haltung in der Krim-Krise dürfte trotz Kritik keine politischen Konsequenzen nach sich ziehen, erwartet Reginaldo Nasser. Denn wer sich heute neutral zeige, könne morgen als Vermittler auftreten. Noch ist eine solche Rolle Brasiliens in der Krim-Krise allerdings nicht absehbar.