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Die CDU hat gravierende Fehler gemacht

13. September 2005

Parteienforscher Klaus Detterbeck gibt im wöchentlichen Wahlkampf-Check Antworten auf Fragen zur Wahl 05. Diesmal erläutert er u.a. die Gründe für die Aufholjagd der SPD und bewertet die Rolle der Medien im Wahlkampf.

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DW-WORLD: Der Endspurt zu der Bundestagswahl hat begonnen. Zu Beginn des kurzen Wahlkampfes stand Schwarz-Gelb wie der sichere Sieger da. Jetzt hat die SPD überraschend stark aufgeholt. Was sind die Gründe?

Die SPD hat es in den letzten beiden Wochen geschafft, ein Thema in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken, bei dem sie punkten konnte: Die soziale Gerechtigkeit, genauer gesagt, die von den Sozialdemokraten so gedeutete soziale Ungerechtigkeit der Reformpläne der Union. Die SPD hat dies zum einen in einer stark personalisierten Form getan, Kanzler Schröder im Feldzug gegen "diesen Professor aus Heidelberg" (gemeint ist Paul Kirchhof; Anm. d. Red.). Das TV-Duell gegen Merkel war hierfür ein gutes Beispiel, mit dem viele Bürger erreicht werden konnten. Die SPD hat dies aber zum anderen auch durch klassischere Formen des Wahlkampfes erreicht, etwa durch die vielen Zeitungsanzeigen über die "CDU-Verlierer" durch die geplanten Steuerreformen, oder durch ihre vielen Aktivisten vor Ort, an den Wahlkampfständen oder in den Betrieben. Dies alles hatte Wirkung. Wer etwa in den letzten Tagen öfter öffentliche Verkehrsmittel benutzte, konnte zahlreiche Diskussionen hören, was eine CDU-Regierung denn nun an sozialen Einschnitten vornehmen würde.

Welche Fehler hat die Union gemacht?

Die Union hat einen gravierenden Fehler begangen, in dem sie die Bürger über ihre Pläne im Unklaren ließ. Welche Bedeutung das Steuerkonzept Kirchhofs für die Union nun haben würde, was es mit der ominösen Streichliste an Steuerprivilegien auf sich hat, wie es mit der Rentenpolitik der Union steht, all dies hätte Frau Merkel klipp und klar definieren müssen. Statt der angekündigten Klarheit über die Regierungspläne haben die Christdemokraten damit für Verwirrung und Ängste in der Bevölkerung gesorgt. Dieses Versäumnis öffnete den Sozialdemokraten alle Möglichkeiten, die geschickt genutzt wurden.

Dabei ist das Ganze paradox: Nicht nur, dass der Angriff einer Regierungspartei auf die Pläne der Opposition im Mittelpunkt steht, anstatt das über die Bilanz der Regierung geredet wird. Es ist ja immerhin auch die Regierungspartei, die aufgrund ihrer Reformen in den sozialen Sicherungssystemen zahlreiche traditionelle Sozialdemokraten verloren hat. Und dennoch konnte die SPD nun mit ihrem Stammthema, der sozialen Gerechtigkeit, dem Wahlkampf eine neue Richtung geben.

Insgesamt haben die SPD und die Grünen es geschafft, diesen Wahlkampf an Personen und Themen zu dominieren. Beide Parteien haben sich auf ihre Lichtgestalten Schröder und Fischer gestützt, ein klarer Vorteil gegenüber dem Personal der Opposition. Dass das Regierungslager es aber auch geschafft hat, die inhaltlichen Positionen der Union und FDP zu diskreditieren, ist die eigentliche Überraschung dieser letzten Phase des Wahlkampfes. Nicht die SPD war so gut, die bürgerlichen Parteien waren so erstaunlich schwach.

Es gibt kritische Stimmen zur Berichterstattung der Medien über den Wahlkampf. Wie bewerten Sie ihre Rolle?

Ich denke, dass dieser Wahlkampf vor allem einen sehr erfreulichen Aspekt hat. Die Leute interessieren sich vermehrt für Politik in diesen Wochen. Sie schauen die zahlreichen "TV-Duelle", sie lesen in den Zeitungen und im Internet, sie hören im Radio die Berichterstattung. Natürlich interessieren sich viele mehr für die Show als für die Inhalte, wenn wir etwa an die 21 Millionen bei Schröder gegen Merkel denken. Aber gerade weil wir diese Überdosis Politik in den Medien verabreicht bekommen, ist es ja auch nur schwer möglich, sich den Inhalten, den Themen dieser Wahl zu entziehen. Da sind wir in Europa doch noch weit von den USA entfernt. Diese Öffentlichkeitswirkung kann der Wahlkampf nur über die Medien entfalten.

Natürlich kann der versierte TV-Zuschauer inzwischen jeden zweiten Satz von Herrn Schröder selbst vervollständigen, der Wahlkampf funktioniert eben über eingeübte Statements der Spitzenpolitiker. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wesentlich mehr Wähler in den letzten Wochen mehr über die Unterschiede zwischen den Parteien erfahren konnten, nachgedacht haben und somit eine bewusstere Wahl treffen können als dies noch im Juni oder Juli der Fall war. Dies ist ein Verdienst auch der Medien. Dass sich die vermeintlichen Verlierer ungerecht behandelt fühlen, das ist ein Phänomen wohl so alt wie der Medienwahlkampf selbst.

Nach dem Tod der NPD-Direktkandidatin in Dresden muss eine Nachwahl stattfinden. Kann es sein, dass Deutschland am Wahlabend noch nicht weiß, wer die Regierung stellen wird?

Je knapper das Ergebnis wird, umso wichtiger die Nachwahl in Dresden. Wir haben gehört und gelesen, dass es 2002 nur etwa 6.000 Stimmen waren, die den Unterschied machten; dagegen hören sich 230.000 Stimmen in diesem Wahlkreis gewaltig an. Es geht konkret um zwei Fragen. Erstens: Verteidigt die CDU dort ihr Direktmandat? Gewinnt die CDU in Sachsen viele Wahlkreise direkt, könnte dies zu einem zusätzlichen Überhangmandat für die Union führen, das neu in die Sitzverteilung im Bundestag eingeht. Zweitens: Verändert sich durch die Stimmverteilung in Dresden das Verhältnis der Zweitstimmen? Hier ist denkbar, dass in Sachsen noch Mandate zwischen den Parteien "wandern". Realistisch ist wohl, dass sich durch die Nachwahl noch Veränderungen in den Mehrheitsverhältnissen in der Größenordnung von ein bis drei Sitzen ergeben könnten.

Sollte es am 18. September tatsächlich noch offen sein, dann würden wir eine einmalige Wahlkampagne in Dresden erleben, und natürlich einen immensen Medienhype. Allein mir fehlt der Glaube. Ich gehe davon aus, dass wir am Wahlabend wissen, dass Union und SPD dicht beieinander liegen werden, und dass es rechnerisch weder für schwarz-gelb noch für rot-grün reichen kann, mit oder ohne Dresden. Gesetzt, dass eine Koalition mit der Linkspartei nicht in Frage kommt, wovon ich überzeugt bin, bleibt nur eine Option übrig, die Große Koalition. Aber vielleicht geht es ja noch um die Frage, wer stärkste Kraft im Bundestag wird und damit den Kanzler stellt. Auch das wäre natürlich eine sensationelle Ausgangslage für die Nachwahl.

Ist diese Nachwahl nötig?

Ja, denn man kann ja nicht von Amts wegen feststellen, ob eine Kandidatur für den Ausgang der Direktwahl entscheidend wäre oder nicht. Auch wenn die Vertreterin der NPD nur wenige Prozent gewonnen hätte, wäre dies eventuell entscheidend geworden für die Frage, ob CDU, SPD oder Linkspartei diesen Wahlkreis holen. Problematisch ist nun sicherlich, dass die Dresdner am 2. Oktober unter ganz anderen Voraus­setzungen wählen als der Rest des Landes im September.

Aber die Sache ließe sich, wie ja auch schon vorgeschlagen wurde, einfach regeln, indem vorab ein Ersatzkandidat festgelegt würde. Hier ist mit einer Reform des Wahlgesetzes in der nächsten Legislaturperiode zu rechnen.

Klaus Detterbeck Bundestagswahl 05 Experte Porträtfoto

Klaus Detterbeck (Jahrgang 1966) lehrt und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Magdeburg.