Die COVID-Tragödie in Afghanistan
17. Juni 2021Seit mehreren Wochen steigt in Afghanistan die Zahl der COVID-19-Fälle steil an. Die Krankenhäuser kommen an ihre Belastungsgrenze und Gesundheitsbehörden in fast allen Provinzen warnen vor einer massiven Krise. Es gebe nicht genug Betten, um neue Covid-Patienten zu behandeln, berichten Ärzte in einem der größten Krankenhäuser in der Hauptstadt Kabul der DW.
"Obwohl wir über 150 Betten verfügen, haben wir es irgendwie geschafft, 170 Patienten aufzunehmen. Die Anzahl an Covid-Patienten steigt immer weiter, aber wir haben nicht genug Betten oder Sauerstoff, um ihnen zu helfen", so Tariq Akbari, Leiter des Afghan-Japan-Hospitals in Kabul. "Momentan können wir lediglich 30 Patienten mit Sauerstoff versorgen. Wir versuchen, das Sauerstoff-System an mehr Betten anzubringen, doch das dauert noch."
Da die meisten Krankenhäuser in Afghanistan nicht über eine geeignete Ausstattung zur Behandlung der COVID-19-Patienten verfügen, müssen Infizierte Einrichtungen aufsuchen, wo sie lediglich ambulant behandelt werden.
"Ich bin am Virus erkrankt, aber im Krankenhaus sagte man mir, es gebe nicht genug Betten", erzählt Abdullah aus der Herat-Provinz.
Die Notlage spitzt sich zu
Nach Angaben des afghanischem Gesundheitsministeriums sind bislang mehr als 3800 Menschen an oder mit COVID-19 gestorben (Stand 16. Juni). Doch Experten schätzen, dass die Dunkelziffer viel höher ist, weil in Afghanistan wenig getestet wird. Außerdem würden viele Covid-Sterbefälle nicht als solche gemeldet.
"Diese Welle ist tödlicher. Wir glauben, das liegt an der Delta-Variante, die aus Indien stammt und sich schneller ausbreitet", so Akbari. Sein Krankenhaus vermeldet pro Tag durchschnittlich 14 Tote.
Der Staat hat Schulen, Universitäten, Hochzeitssäle und Kosmetiksalons geschlossen, um die Welle an Neuinfektionen zu brechen. Aber diese Maßnahmen haben bisher nicht den gewünschten Effekt erzielt. Denn andere Orte, an denen das Virus sich schnell verbreiten kann - Märkte und Läden - bleiben geöffnet. Die meisten Menschen tragen keine Masken und halten sich nicht an Vorgaben, weil sie vom Staat nicht zwingend vorgeschrieben werden.
Dazu impft Afghanistan aktuell nur langsam gegen COVID-19. Bei 36 Millionen Einwohnern hat das Land bislang gerade mal eine Million Dosen verimpft - die meisten gingen an das Gesundheitspersonal und die Sicherheitskräfte. Zwar hat Afghanistan vergangene Woche 700.000 Dosen des chinesischen Sinopharm-Impfstoffs erhalten, doch der Weg zu einer Herdenimmunität ist noch weit.
Medien halten sich zurück
Obwohl die Krise in Afghanistan sich aktuell massiv verschärft, wird über Corona am Hindukusch in vielen internationalen Medien derzeit kaum berichtet. Informationen über die Lage in Afghanistan kommen vor allem über die Sozialen Netzwerke. Dort teilen Afghanen Bilder und Videos von COVID-19-Patienten, um auf die Notlage im Land aufmerksam zu machen.
"Jeder kennt jemanden, der an Covid gestorben ist. Früher habe ich Facebook genutzt, um Spaß zu haben, aber jetzt ist es zu deprimierend. Fast alle posten nur noch über COVID-Tote", beklagt sich Mehrabuddin Hakimi aus Kunduz.
Die Armut und die schlechte Gesundheitsinfrastruktur erschweren Afghanistans Kampf gegen die Pandemie. Dazu kommt noch der Konflikt zwischen dem Staat und Taliban-Kämpfern. Die militant-islamistische Gruppe kontrolliert mehr als die Hälfte aller Bezirke in Afghanistan. Mit der Folge, dass es in diesen Regionen kaum Corona-Tests gibt.
"Die Menschen können nicht Abstand halten von Covid-Patienten. Sie müssen sich um sie kümmern und, weil sie keine Gesundheitsprofis sind, stecken sie sich dann auch an", so Hakimi.
Obwohl die internationale Gemeinschaft finanzielle Hilfen für Afghanistan bereitstellt, gibt es im Land weder genug Tests noch eine ausreichende medizinische Ausstattung. Experten fordern aus diesem Grund ein stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft am Hindukusch.
Unterstützung von Karim Saleh and Parwaneh Alizadah.