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Die Legende der Trümmerfrauen

Sabine Damaschke23. November 2014

Das Bild der zupackenden, fröhlichen Trümmerfrau hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Doch zu Unrecht. Es gab keine solche "Generation Trümmmerfrau". Das zeigt ein neues Buch.

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Trümmerfrauen in Berlin (c) ullstein bild
Trümmerfrauen in Berlin - 1946, nachträglich koloriertBild: ullstein bild

Mit geknotetem Tuch auf dem Kopf und einem Hammer in der Hand sitzt oder steht sie in Stein gemeißelt in zahlreichen deutschen Großstädten: die Trümmerfrau. Bei jeder Einweihung der vielen Denkmäler sprechen deutsche Politiker ähnliche Worte wie sie 2005 der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in München fand. Er bezeichnete die Frauen "als Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen" und fügte hinzu: "Das Denkmal erinnert an die große Zahl von Frauen, die sich freiwillig zur Beseitigung von Trümmern meldeten."

Falsch, sagt jetzt Historikerin Leonie Treber. In Deutschland gab es weder eine "große Zahl" von Trümmerfrauen, noch räumten die meisten den Schutt freiwillig weg. Das mussten andere tun. "Die Trümmerfrau ist eine deutsche Legende", betont die Wissenschaftlerin, die die Ergebnisse ihrer Forschungen jetzt in dem Buch "Mythos Trümmerfrauen" veröffentlicht hat. Seit 2005 beschäftigt sich Leonie Treber mit dem Thema, das in der Wissenschaft bislang ein "weißer Fleck" war. An der Universität Duisburg-Essen hat sie dazu promoviert.

Das Trümmerfrauen-Denkmal in Dresden (c) picture-alliance/dpa/Matthias Hiekel
Das Trümmerfrauen-Denkmal in DresdenBild: picture-alliance/dpa/Matthias Hiekel

Gutes Geschäft für Baufirmen

Den Schutt, so zeigt die Historikerin, räumten nach Kriegsende vor allem bauhandwerkliche Betriebe weg, die dafür auch die notwendigen Gerätschaften hatten – und auf ein gutes Geschäft mit den Städten hofften. "Wären es tatsächlich überwiegend Frauen mit ihren Eimern gewesen, hätten wir heute noch überall die Trümmer herumliegen", meint Treber. Allerdings brauchten die Bauhandwerker Unterstützung aus der Bevölkerung. Schließlich mussten in ganz Deutschland rund 400 Millionen Kubikmeter Trümmer und Schutt beseitigt werden.

"Bei der Trümmerbeseitigung in den deutschen Städten haben Frauen nur eine untergeordnete Rolle gespielt", erklärt Treber. Selbst in Berlin, wo immerhin rund 60.000 Frauen zur Räumung des Kriegsschuttes eingesetzt wurden, stellten sie mit gerade mal fünf Prozent der weiblichen Bevölkerung kein Massenphänomen dar. In der britischen Zone kamen laut Treber nur 0,3 Prozent der Frauen zum Einsatz.

Das Buchcover "Mythos Trümmerfrauen" von Leonie Treber (c) Klartext
Bild: Klartext

Trümmerräumung als Strafarbeit

Doch nicht nur die Frauen waren überaus zurückhaltend, wenn es um die Enttrümmerung Deutschlands ging. Auch bei den Männern war der Job keineswegs beliebt. Denn er war in den Augen der deutschen Bevölkerung alles andere als eine rühmliche Aufgabe, mit der man seinen "Willen zum Wiederaufbau" zeigen könnte. Die meisten Deutschen sahen sie als "Strafarbeit". Mit gutem Grund.

Schon während des Krieges hatten die Nationalsozialisten nach den Luftangriffen der Alliierten Soldaten, die Hitlerjugend, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zu Aufräumarbeiten verpflichtet. Nach Kriegsende 1945 kamen zunächst Kriegsgefangene und ehemalige Mitglieder der nationalsozialistischen Partei NSDAP zum Einsatz. Weil das aber nicht ausreichte, wurde die Bevölkerung zur Mithilfe aufgefordert, im Westen oft freiwillig, in der sowjetischen Besatzungszone meist verpflichtend.

Trümmerfrauen in Hamburg (c) ullstein bild
Trümmerfrauen in Hamburg 1946Bild: ullstein bild

Mediale Vermarktung der Trümmerfrau

In Berlin gewann man die Frauen für Räumungsarbeiten, indem man ihnen die zweithöchste Kategorie der Lebensmittelzuteilungen gab. Um mehr Freiwillige als Arbeitskräfte zu rekrutieren, sei das Bild der fröhlich zupackenden Trümmerfrau bewusst medial vermarktet worden, so die Historikerin. Genau dieses Bild habe sich bis heute tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt, sagt Leonie Treber. "Es wird immer wieder in Reden, Filmen und Büchern beschworen."

Zunächst aber fiel die Medienkampagne nur in der DDR auf fruchtbaren Boden. Dort wurde die Trümmerfrau zum Vorbild aller Frauen, die einen Männerberuf erlernen wollten und sollten. In der Bundesrepublik dagegen passte die hart arbeitende, selbstbewusste und emanzipierte Frau nicht ins konservative Frauenbild. Kein Wunder, dass die bayerische SPD-Politikerin Lisa Albrecht schon 1948 nach einer Reise durchs zerbombte Berlin schrieb: "Schrecklich war mir der Anblick der sogenannten Schuttfrauen, die Berlin aufräumen."

Teil der gesamtdeutschen Erinnerungskultur

Erst mit der Frauengeschichtsschreibung der achtziger Jahre, die die Frauen zu Heldinnen des Wiederaufbaus stilisierte und der Diskussion um die "Babyjahre", die Müttern auf ihre Rente angerechnet werden sollten, wurden die Trümmerfrauen auch in Westdeutschland wieder zum Thema. Und zwar für die gesamte Generation der vor 1921 geborenen Frauen.

"Seit der Wiedervereinigung hat niemand mehr am Image der selbstlosen Trümmerfrau gekratzt", sagt die Historikerin. "Denn in Ost und West funktioniert sie als gemeinsame Erinnerungskultur." Insofern stößt Leonie Treber mit ihren Forschungen nicht überall auf Verständnis. "Natürlich hat es die zupackenden und starken Nachkriegsfrauen, die sogar Trümmer wegräumten, gegeben", sagt sie. "Aber sie waren klar in der Minderheit."

Leonie Treber ist Autorin des Buches "Mythos Trümmerfrauen" (c) privat
Die Historikerin Leonie TreberBild: privat

Leonie Treber: Mythos Trümmerfrauen, Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes, Klartext-Verlag Essen, 484 Seiten, 29,90 Euro.