Deutschland und die Seidenstraße
17. Juli 2017Die "Seidenstraße" ist eine deutsche Erfindung. Zumindest der Name. Der geht nämlich zurück auf den deutschen Forschungsreisenden Ferdinand von Richthofen. Richthofen bezeichnete das historisch gewachsene Netz von Karawanenstraßen, das das Mittelmeer auf dem Landweg über Zentralasien mit Ostasien verband, im 19. Jahrhundert erstmalig als Seidenstraße. Richthofens Bezeichnung erfreute sich schon bald ungeheuer Popularität.
2013 nutzte die chinesische Regierung das weltweit bekannte Label, um ihr neues Infrastrukturprojekt, die "One Belt, One Road"-Initiative, bekannt zu machen. Bei der Seidenstraße der Neuzeit handelt es sich um ein in Peking geplantes und zentral koordiniertes Projekt der Superlative: China will Milliarden investieren, um mehrere Wirtschafts- und Handelskorridore zu Land und zur See zwischen China und Europa, Afrika, dem Nahen Osten, Südasien, Zentralasien und Südostasien zu etablieren.
Viele Fragen auf deutscher Seite
Als 2013 erste spärliche Informationen zur chinesischen Initiative an die Öffentlichkeit drangen, wussten viele deutsche Unternehmer zunächst nicht, was sie damit anfangen sollten, berichtet Daniel Müller vom Ostasiatischen Verein (OAV) im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der OAV ist ein Wirtschaftsverband mit Sitz in Hamburg, in dem 500 deutsche Unternehmen Mitglied sind, die sich in der Region Asien-Pazifik engagieren. "Meine Wahrnehmung war, dass die Initiative erst richtig im Zuge der Gründung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) 2015 bei den Unternehmen angekommen ist." Die chinesisch geführte Entwicklungsbank, an der auch Deutschland mit 4,5 Milliarden US-Dollar beteiligt ist, ist ein wichtiger Baustein, um den Infrastrukturausbau in Asien voranbringen. Erst die Gründung der Bank zeigte, dass China tatsächlich bereit ist, für das Projekt viel Geld in die Hand zu nehmen. Das spiegelte sich auch in Gesprächen, die Müller seitdem mit deutschen Unternehmern geführt hat. Die sind oft überzeugt: "Da passiert etwas Großes, da sind beträchtliche finanzielle Mittel im Spiel und da sollte man unbedingt dabei sein."
Aber, und dieses "aber" betont Müller im Gespräch mit der DW mehrfach, es seien noch viele Fragen offen. Handelt es sich bei Chinas Initiative tatsächlich um einen koordinierten und zielgerichteten Gesamtplan? Oder ist es vielmehr ein Konglomerat verschiedener Einzelinitiativen, die nun alle mit dem gemeinsamen Label "Neue Seidenstraße" versehen werden? "Meiner Beobachtung nach handelt es sich eher um das letztere", sagt Müller. Und so verschieden wie die diversen Projekte sind, so undurchschaubar und unklar sei auch die Stoßrichtung des Gesamtprojekts.
Transparenz und Standards
Für Müller sind die zentralen Schlagworte Transparenz, Inklusion und Nachhaltigkeit.
"Es gibt bewährte internationale Standards und von diesen sollte man auf keinen Fall abweichen, um kurzfristige ökonomische Gewinne zu erzielen." Bezüglich der Standards sei die große Pekinger Seidenstraßen-Konferenz im Mai 2017 eher enttäuschend gewesen. Das Ziel müsse eine echte multilaterale Abstimmung unter den beteiligten Akteuren sein.
Ina Lepel, Leiterin der vor kurzem neu eingerichteten Abteilung Asien-Pazifik im Auswärtigen Amt, sagt dazu: "Deutschland ist aufgeschlossen für eine Zusammenarbeit, wir möchten sinnvolle Synergien zwischen Ansätzen der EU und China schaffen. Aber wir stehen auch fest zu unseren Grundsätzen." Das bedeutet: "Zu den Voraussetzungen für unser Mitwirken zählt, dass international anerkannte Regularien sowie Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards eingehalten werden. Die Projekte müssen auch wirtschaftlich, ökologisch und sozioökonomisch nachhaltig sein." Lepel sieht die großen Chancen der Initiative, verweist aber auch auf Risiken: "Wir sind nicht naiv: Natürlich ist Infrastrukturausbau allein keine Garantie für gelungene Entwicklungsprozesse."
Diesen Punkt betont auch Müller und nennt beispielhaft etwa die international anerkannten Standards der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). Diese Standards seien auch unerlässlich, um den Erfolg des Projekts bzw. der verschiedenen Projekte zu erhöhen. Müller zieht die Parallele zu westlichen Entwicklungszusammenarbeit: "Der Westen ist schon in ganz anderen, vergleichsweise klaren und stabilen Kontexten gescheitert, wo sich Projekte schließlich als Fass ohne Boden entpuppt haben."
Darüber hinaus sei auch klar, dass die bisher von China zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen, um das Infrastrukturdefizit in Asien aufzufangen. Die ADB spricht in einem Bericht von 2017 von einem Bedarf an Infrastrukturinvestitionen von bis zu 26 Billionen US-Dollar bis 2030. In Vergleich dazu ist Chinas Initiative eher bescheiden. Anders gesagt: China ist zwar groß und hat gewaltige Ressourcen, aber es wird die Herausforderungen nicht ohne Partner meistern können. Partner wie die ADB oder Deutschland und Europa werden aber nur dann mitmachen bzw. ihr Engagement erhöhen, ist Müller überzeugt, wenn gewisse Standards eingehalten werden.
Nur für große Player
Bisher haben nur wenige deutsche Unternehmen konkrete Schritte unternommen, um sich an Chinas Seidenstraße zu beteiligen. Da wäre zum Beispiel die Deutsche Bank, die sich mit drei Milliarden US-Dollar an der Chinesischen Entwicklungsbank beteiligt und in der Pressemitteilung explizit die wirtschaftliche Kooperation zwischen China und Deutschland im Rahmen der Neuen Seidenstraße-Initiative nennt. Oder der Duisburger Hafen, der sich als wichtiger Endpunkt der Seidenstraße positioniert hat. Schon heute werden dort pro Woche 24 Züge aus Fernost abgefertigt. Nicht zuletzt will die Deutsche Bahn ihre Aktivitäten in China mit Blick auf die Seidenstraße ausbauen. Im Juni 2016 wurde ein Abkommen zur vertieften Zusammenarbeit unterzeichnet. China Railways und Deutsche Bahn streben die Kooperation bei der Entwicklung von Infrastruktur-Projekten an, bei denen die DB ihr Expertenwissen einbringt, wie die DB gegenüber der Deutschen Welle erklärte.
Nach Müllers Einschätzung ist die Seidenstraßen-Initiative zum jetzigen Zeitpunkt vorrangig für große deutsche Unternehmen attraktiv. Ein derartiges Megaprojekt, bei dem es sehr viele Unwägbarkeiten gibt, an dem viele instabile Länder und Regionen beteiligt sind, sei für kleine und mittlere Unternehmen sehr herausfordernd, die das Risiko von Fehlinvestitionen nicht so leicht abfedern können. Auch brauche man eine gehörige Portion Erfahrung, um in derartig komplexen und unklaren Kontexten erfolgreich agieren zu können. Dass auch in China vor allem staatseigene und fast keine privaten Unternehmen an der Seidenstraße beteiligt sind, ist Müller zufolge ein weiteres Indiz dafür, dass das Projekt noch nicht weit genug gediehen sei, um für die Privatwirtschaft attraktiv zu sein.
Die Bundesregierung ist überzeugt, dass deutsche Unternehmen viel zu dem Projekt beitragen könnten. Diese zögern aber, weil die Bedingungen nicht immer fair sind. China schottet bestimmte Bereiche seiner Wirtschaft ab. Die Bundesregierung versucht diesbezüglich, China zum Umdenken zu bewegen, sagt Lepel: "Wir wirken daher beharrlich auf China ein, den Marktzugang für nicht-chinesische Firmen zu verbessern, etwa durch offene und transparente Ausschreibungen und Vergabeverfahren. Das ist ein Gebot der Fairness."
Geopolitische Implikationen
Bei all dem dürfe man keinesfalls die politischen Implikationen aus dem Blick verlieren, die im erheblichen Maße zum Gelingen oder Misslingen der Initiative beitragen. Müller sagt: "Es werden amerikanische und russische Interessen tangiert - Teile des Projekt verlaufen ja mitten durch die Eurasische Union - und vor allem indische Interessen. Wenn Deutschland Indien als strategischen Partner gewinnen will, muss man sich dessen bewusst sein."
Lepel warnt: " Sorgen gibt es auch vor einer Dominanz Chinas. Insbesondere kleinere Staaten sehen sich einem vielfach überlegenen Nachbarn und starken Verhandlungspartner gegenüber." Auch hier biete ein konsequent regelbasierter Verhandlungsansatz eine Lösung an. Die betroffene Bevölkerung müsse einbezogen werden. Nur so könne die von China viel beschworene Win-Win-Situation Wirklichkeit werden.