Die Deutschen und die künstliche Intelligenz
28. Dezember 2019Alexa, Google, Siri - Geräte mit digitalen Sprachassistenten lagen auch in diesem Jahr massenhaft unter dem Weihnachtsbaum. Musik abspielen, das Licht einschalten, im Internet einkaufen, den Fernseher steuern, Fragen beantworten, das alles können sprachgesteuerte Systeme schon heute leisten. Sie können das Leben deutlich bequemer machen. Im Gegenzug übermitteln sie jede Menge persönlicher Daten an die großen digitalen Plattformen. Und viele von ihnen verfügen auch über Kameras und damit über eine visuelle Erkennung.
Ob Amazon, Alibaba, Google, Facebook oder Apple, sie alle sammeln diese Daten fleißig - und werten sie mit Hilfe entsprechender Software aus. Die Programme zeichnen die Kundenbedürfnisse auf, zum Beispiel um Nutzerprofile zu erstellen und automatisch personalisierte Werbung zu versenden. Das Marketing ist nur ein Bereich, in dem künstliche Intelligenz, kurz KI, eingesetzt wird, aber es ist einer, mit dem schon heute viele Menschen in Berührung kommen.
Von menschlicher Intelligenz ist KI zwar noch weit entfernt. Doch selbstlernende Computersysteme können sehr große Datenmengen in kurzer Zeit erfassen, analysieren und auswerten. "Was dort stattfindet, ist der Weg in den totalen Überwachungsstaat", warnt der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek vor den lauschenden Sprachassistenten.
Daten sind die neue Elektrizität
US-Konzerne nutzen die gesammelten Daten bislang vor allem kommerziell, für maßgeschneiderte Werbung und für den Verkauf. In China hingegen werden die Bürger mit Hilfe künstlicher Intelligenz, mit Datenauswertung, Gesichts- und Gangerkennung bereits umfassend kontrolliert und zu konformem Verhalten gezwungen. "Das alles wollen wir nicht", sagt Janecek, der um die Freiheitsrechte der Bürger fürchtet. Europa müsse sich "als echte Alternative zu den USA oder China etablieren und KI erfolgreich und auf Grundlage europäischer Werte entwickeln".
Zusammen mit anderen Abgeordneten sitzt der Grüne in der "Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz" des Bundestags, die noch bis Herbst 2020 "Chancen und Herausforderungen der neuen Technologien ergründen und Handlungsempfehlungen erarbeiten" will. Kurz vor Weihnachten legte die Kommission einen ersten Zwischenbericht für die Bereiche Gesundheit, Wirtschaft und Staat vor. Arbeit, Medien und Mobilität sollen folgen.
Die Gräben sind tief
In der Kommission gehen die Meinungen zum Einsatz künstlicher Intelligenz weit auseinander. Skepsis herrscht vor allem bei Linken und Grünen, aber auch in Teilen der SPD. Die CDU-Abgeordnete Ronja Kemmer fürchtet, dass Deutschland damit in eine Sackgasse gerät. "Wenn wir am Ende jedes potenzielle Risiko, jeden möglichen Fehler eines KI-Systems zum Bremsklotz werden lassen, dann werden wir keine Innovationen verzeichnen, dann werden wir keine Sprünge machen, und vor allem werden wir dann ins Hintertreffen geraten", sagte sie im Bundestag.
Einer der größten Streitpunkte ist der Datenschutz. "In Deutschland neigen wir dazu, das Sammeln und Verwerten von Daten grundsätzlich zu verteufeln," so die AfD-Abgeordnete Joana Cotar. Wenn aber Datenerhebungen in Krankenhäusern dazu führen würden, dass die Zahl der Todesfälle zurückgehen und neue Behandlungsmethoden gefunden würden, dann sei das doch etwas Gutes. "Wir müssen die Datenschutz-Grundverordnung überarbeiten." Die Menschen müssten die Angst davor verlieren, wichtige Daten anonymisiert oder pseudonymisiert zur Verfügung zu stellen.
Die Welt wartet nicht auf Deutschland
"Künstliche Intelligenz soll den Menschen dienen, darf sie aber nicht überwachen und soll insgesamt einen gesellschaftlichen Fortschritt bewirken, der vernünftig ist", sagt der SPD-Abgeordnete René Röspel. Doch wie definiert man in diesem Fall "vernünftig"? Und wie lange kann sich Deutschland noch Zeit lassen, darüber zu diskutieren?
"Die Welt wartet nicht auf uns", sagt die Christdemokratin Ronja Kemmer. Andere Länder nähmen Milliardenbeträge in die Hand. "Wir brauchen mehr Geschwindigkeit und Dynamik." Künstliche Intelligenz "Made in Europe" sei eine erfolgversprechende Marke. Vorreiter könne aber nur sein, wer den technisch-wissenschaftlichen Vorsprung habe und zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickle. "Ohne das Training von großen Datenmengen, ohne konkrete Anwendungen werden wir keinen Erfolg haben", so Kemmer.
Der Vorsprung der anderen ist groß
Tatsächlich sind China und die USA den Europäern bereits um Längen voraus. 2016 wurde in den USA, noch unter Präsident Barack Obama, die erste KI-Strategie aufgelegt. Umgerechnet 1,3 Milliarden Euro investiert der Staat pro Jahr in Erforschung und Entwicklung künstlicher Intelligenz.
In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt es: "Die einflussreichsten Publikationen zu KI, jährlich geschätzt über 3000 Promovenden in diesem Bereich, etwa 1400 KI-Startups, sieben der weltweit zehn größten Technologiekonzerne und seit 40 Jahren gewachsene Kooperationsstrukturen zwischen Universitäten, Behörden und Unternehmen: Diese Kombination an Faktoren sind der Grund für die globale Führungsposition der USA bei KI."
China will die Standards setzen
Doch die Vormachtstellung schwindet. Im Sommer 2017 präsentierte der chinesische Staatsrat seine nationale KI-Strategie, die in drei Stufen verlaufen soll: die USA bis 2020 einholen, bis 2025 überholen und ab 2030 global führen. Dafür wird viel investiert. Zur Förderung der Chipindustrie hat Peking 16,4 Milliarden Euro angekündigt. Allein die Stadt Tianjin hat einen Fonds von 12,8 Milliarden Euro für KI-Förderung aufgelegt.
Verglichen damit liegt Deutschland weit zurück. Im November 2018 verabschiedete die Bundesregierung ihre KI-Strategie. Für die Umsetzung sollen bis 2025 insgesamt rund drei Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Allerdings sind in der Finanzplanung bis 2023 bisher nur eine Milliarde Euro an Fördermitteln eingeplant. Woher die restlichen Gelder kommen sollen, darüber wird noch gestritten. Von den 100 angekündigten KI-Professuren sind bislang nur zwei besetzt worden.
Schwerpunkt Industrie?
Kritik an der Umsetzung der KI-Strategie kommt von vielen Seiten. Auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie, der zusätzliche Haushaltsmittel fordert. In einem Grundsatzpapier zur künstlichen Intelligenz gibt der BDI zudem Handlungsempfehlungen. Die zentrale Forderung lautet, dass sich Deutschland bei der KI auf industrienahe Anwendungsfelder konzentrieren und dort eigene Schwerpunkt und Kompetenzen erarbeiten soll. In intelligenter Automatisierung, intelligenter Sensorik und Robotik sei die deutsche Industrie weltweit führend. Darauf müsse aufgebaut werden. Als Beispiel wird unter anderem die hybride KI genannt. Darunter versteht man Modelle, in denen menschliches Expertenwissen und maschinelle Lernmethoden kombiniert werden.
US-amerikanische Unternehmen würden datengetriebene Anwendungen und Plattformen im privaten Konsumbereich dominieren. China sei bei nationaler Sicherheit und Online-Handel stark aufgestellt. "Deutschland und Europa werden sich im internationalen Wettbewerb nicht behaupten können, wenn sie auf die gleichen Schwerpunkte setzen", heißt es in dem BDI-Papier.