Rassismus im Alltag
9. September 2013"Rassismus begegnet einem als schwarzer Mensch in Deutschland auf jeder gesellschaftlichen Ebene. Im Berufsleben, wenn es darum geht, eine Wohnung zu finden, oder für politische Belange einzutreten. Im privaten Bereich natürlich auch." Tahir Della ist Fotograf in München und Vorstandsmitglied der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland" (ISD). Der Verein will Afrodeutsche und ihre Projekte untereinander vernetzen und Rassismus entgegentreten.
Martin Luther King vor 50 Jahren: "Ich habe einen Traum"
In den USA hatte sich in den 1950er Jahren eine Bürgerrechtsbewegung gegen die Rassendiskriminierung im Land gebildet. Vor 50 Jahren, am 28. August 1963, hielt der schwarze US-Bürgerrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede "I have a dream". Er beschrieb darin seine Vision eines zukünftigen Amerikas ohne Rassismus, in dem Hautfarbe und Herkunft eines Menschen keine Rolle mehr spielen sollten.
Wie sieht es 50 Jahre später in Deutschland damit aus? "Man wird von Leuten auf offener Straße gefragt, ob man irgendwelche Drogen dabei habe", weiß Della zu berichten. "Oder es wird - auch bei Behörden - erwartet, dass man auf schlecht gesprochenes Deutsch besser antworten könne als auf richtiges Deutsch. Das mag auf den ersten Blick harmlos aussehen. Dahinter stecken jedoch negative Zuschreibungen über schwarze Menschen sowie das mangelnde Verständnis darüber, dass auch Menschen mit dunkler Hautfarbe zur deutschen Bevölkerung gehören", sagt Della, der sich seit den 1980er Jahren, als die ISD gegründet wurde, dort engagiert.
Verschiedene Ausprägungen
Eine allgemein gültige Definition von Rassismus existiert nicht. "Es gibt unterschiedliche Dimensionen und Erscheinungsformen von Rassismus. Er kann spontan sein oder organisiert, offen oder verdeckt. Es gibt gewalttätigen Rassismus, rassistische Äußerungen und Diskriminierung im Alltag", sagt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR), wo er seit 2007 arbeitet.
"Anders als früher wird Rassismus meist nicht mehr biologistisch begründet, sondern kulturalistisch. Typisch ist die Bildung von Gruppen aufgrund unterschiedlicher 'Kulturen', 'Nationen', 'Ethnien' oder Religionszugehörigkeit", sagt Cremer. Diese Gruppen seien jedoch nur konstruiert und vermeintlich homogen, den Mitgliedern würden pauschale Eigenschaften zugeschrieben. "Solche Kategorisierungen von Menschen bekommen spätestens dann eine rassistische Dimension, wenn damit Hierarchisierungen und Abwertungen einzelner Gruppen einhergehen."
Ähnliche Erfahrungen
Von Rassismus sind nicht nur Schwarze betroffen, von denen in Deutschland viel weniger leben als in den USA. Auch Antisemitismus gehört dazu, Antiziganismus, der sich gegen Sinti und Roma richtet, oder anti-muslimischer Rassismus. Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland sagt: "Es gibt viele Parallelen zu anderen Gruppen, die hierzulande rassistisch diskriminiert werden. Die Erfahrungen sind ähnlich."
Welche Rechtsgrundlagen gelten in Deutschland im Bezug auf Rassismus? "Sämtliche internationalen Menschenrechtsverträge, die auch Deutschland unterzeichnet hat, enthalten ein Verbot rassistischer Diskriminierung", weiß der Jurist Cremer. Um sich konkret gegen Rassismus zu wehren, seien die Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland jedoch nicht ausreichend. "In Deutschland wurde zwar 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eingeführt. Das erfasst etwa den Bereich des Arbeitslebens und mit Einschränkungen den Wohnungsmarkt, das Gesetz weist in jedem Fall Lücken auf."
Hohe juristische Hürden
Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik ist das Verbot rassistischer Diskriminierung enthalten, es gibt aber laut Cremer im Grunde keine Rechtsprechung, die darauf beruht. "Wer gegen rassistische Äußerungen vorgehen will, kann sich häufig nur auf Paragraph 130 Strafgesetzbuch beziehen, der sich gegen Volksverhetzung wendet." Da seien die juristischen Hürden hoch. Das Strafverfahren gegen den Ex-Finanzminister von Berlin, Thilo Sarrazin, der sich in einem Interview 2009 nach Expertenmeinung klar rassistisch über türkische und arabische Einwanderer in Deutschland geäußert hatte, wurde eingestellt.
Der deutsche Staat hat beim Thema Rassismus zum einen die Aufgabe, Menschen vor rassistischer Diskriminierung durch andere Personen oder Akteure zu schützen. Er darf aber auch nicht selbst diskriminieren. Bei Personenkontrollen durch die Polizei kann das zum Problem werden. "Racial Profiling" ist laut Cremer gängige und weit verbreitete Polizei-Praxis. Dabei werden Personen aufgrund äußerlicher Merkmale für anlasslose Kontrollen ausgesucht.
"Polizei ist Teil der Gesellschaft"
So darf die Bundespolizei auf Flughäfen, Bahnhöfen und in Zügen zur Migrationskontrolle solche Personenkontrollen durchführen. Das DIMR veröffentlichte Ende Juni 2013 eine Studie zum "Racial Profiling" in Deutschland, und forderte die Abschaffung des relevanten Paragrafen im Bundespolizeigesetz. Weil er, so Studienautor Cremer, "die Polizisten dazu anhält, rassistische Personenkontrollen durchzuführen." Della vom ISD-Vorstand sagt: "Ich kenne kaum schwarze Menschen, die das Problem mit häufigen Polizeikontrollen ohne nachvollziehbaren Grund nicht haben. Aber die Polizei ist auch nur Teil der Gesellschaft, und setzt vorhandene Vorurteile fort."
"Rassismus wird in Deutschland häufig und regelmäßig mit Rechtsextremismus gleichgesetzt. Das ist aber eine zu enge Betrachtung, Rassismus in der Mitte der Gesellschaft wird nicht wahrgenommen", meint Wissenschaftler Cremer. Alltagsrassismus werde zu selten gesehen und erfasst und könne dann auch nicht angegangen werden. "Rassismus ist ganz klar ein Phänomen, das durch alle Gesellschaftsschichten geht und überall zu finden ist." Cremer plädiert zudem dafür, von den Begriffen "Ausländer-" bzw. "Fremdenfeindlichkeit" Abstand zu nehmen, und allein von "Rassismus" zu sprechen: "Weil sie einfach unpassend sind."
"Man kann auch unbewusst rassistisch handeln"
Sicherlich gibt es auch Situationen und Aussagen, wo strittig ist, ob sie rassistisch sind oder nicht: "Auch die Meinungsfreiheit ist zu achten und zu würdigen", so Jurist Cremer. Das Wissen und Verständnis darüber, was als rassistisch gilt, sei aber - nicht nur innerhalb der deutschen Justiz - nicht gut ausgeprägt. "Wenn man Leute darauf anspricht, dass ihr Verhalten - wie die ständige Frage, woher man denn 'eigentlich' käme - bei schwarzen Menschen rassistisch ankommt, ist die häufige Antwort: 'Ich hab' es nicht so gemeint'. Das glaube ich denen sogar. Fakt ist aber, dass man auch unbewusst rassistisch handeln kann, weil man bestimmte Klischees im Kopf hat", sagt Della von der ISD. "Ich wage zu behaupten, dass Martin Luther King nicht zufrieden wäre."