Die dunkle Seite der Politik
17. Mai 2020Gefesselt blicken Journalisten am Nachmittag des 17. Mai 2019 auf ihre Bildschirme und trauen ihren Augen kaum: Ein kettenrauchender und augenscheinlich betrunkener Heinz-Christian Strache, Vizekanzler und Vorsitzender der rechtspopulistischen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), sitzt im T-Shirt auf einer Couch, auf dem Glastisch vor ihm sieht man neben Gläsern und Alkohol-Flaschen eine Linie aus weißem Pulver, das an Kokain erinnert. Bei ihm sind sein Parteifreund Johann Gudenus, Vizebürgermeister von Wien, und eine blonde Frau, die sich als Nichte eines russischen Oligarchen ausgibt.
Zu dritt malen sie sich aus, wie sie die Berichterstattung im anstehenden Wahlkampf manipulieren könnten, wenn der Oligarchenonkel die Kronen Zeitung, Österreichs auflagenstärkstes Boulevard-Blatt, kaufen würde. Im Gegenzug für die Unterstützung stellt Strache unter anderem Regierungsaufträge in Aussicht.
Am nächsten Morgen fordern Tausende wütende Demonstranten vor dem Österreichischen Bundeskanzleramt in Wien Straches Rücktritt. Wenige Stunden später tritt dieser von seinem Regierungsposten und dem Parteivorsitz zurück, entschuldigt sich öffentlich, aber auch bei seiner Frau, und zieht sich vorerst aus der Öffentlichkeit zurück.
Binnen Tagen nach Erscheinen des Ibiza-Videos implodiert die Regierung, Bundeskanzler Kurz von der rechtsliberalen ÖVP (Österreichische Volkspartei) wird per Misstrauensvotum abgesetzt und eine Übergangsregierung eingesetzt. Bei den Wahlen im September geben viele enttäuschte FPÖ-Wähler ihre Stimme der ÖVP und Kurz wird erneut Bundeskanzler, diesmal mit den Grünen als Koalitionspartner.
Ein Ausschnitt aus der politischen Praxis?
Die Affäre um das berüchtigte "Ibiza-Video", benannt nach dem Ort seiner Entstehung, werfe ein Schlaglicht darauf, wie Politik in Österreich nach Ansicht mancher Menschen funktioniert, sagt der Politikberater Thomas Hofer. Anders als Bundespräsident Alexander van der Bellen, der kurz nach Veröffentlichung des Materials sagte: "So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht.", meint Hofer: "Man kann nicht sagen, dass dies eine völlig unbekannte Praxis in Österreich ist."
Nie wieder wird man in Österreich das Wort Ibiza in erster Linie mit einer Partyinsel assoziieren. Es ist zum Synonym für die dunkle Seite der Politik geworden: Zwei verschwitzte Politiker erklären einer angeblichen Geschäftsfrau aus Russland, wie man in Österreich Macht gewinnt. Wie man Geld am Fiskus vorbei in die Parteikassen schaufelt, wie man die Massenmedien manipuliert und wie Unternehmen um politischen Einfluss ringen. Strache nennt in dem Video große Unternehmen, die dies täten. Alle bestreiten die Vorwürfe und auch Strache nimmt in seiner Rücktrittsserklärung Abstand von dieser Darstellung.
FPÖ ohne Strache
Gleichzeitig aber beteuert Strache seine Unschuld und stilisiert sich, trotz der drückenden Beweislast, als Opfer einer Verschwörung. Das sei nur eine "b'soff'ne G'schicht" und ein einmaliges Treffen gewesen. Letzteres wurde inzwischen widerlegt. Im Laufe des Jahres werden weitere Skandale um Strache publik, in denen es um Spielsucht und Veruntreuung von Parteigeldern geht. Im Dezember schließt ihn die FPÖ wegen "parteischädigenden Verhaltens" aus.
Das Video muss zwischen dem 22. und 25. Juni 2017 entstanden sein, als Strache und Gudenus noch voll im Oppositionsmodus waren. Die Parlamentswahlen standen zwar im folgenden Herbst an, doch die Koalition der FPÖ mit der ÖVP war noch kaum abzusehen. Genau dort findet sich die FPÖ heute wieder: Ohne ihren einst kultverdächtigen Anführer ist sie weit entfernt davon, eine Regierungspartei zu sein.
Obwohl die neue Parteispitze mit dem Ibiza-Video nichts zu tun hatten, hat die Affäre die ganze FPÖ nachhaltig beschädigt, sagt Politikberater Hofer, die derzeitige Doppelspitze aus Parteichef Norbert Hofer und dem Fraktionsvorsitzenden Herbert Kickl werde nicht lange funktionieren. In der Corona-Krise etwa forderte Kickl zunächst eine komplette Grenzschließung, während die Partei nun gegen den "Corona-Wahnsinn" wettert.
Strache zurück in die Politik?
Strache hat sich mittlerweile eine neue politische Bühne gebaut: "Die Allianz für Österreich" (DAÖ). Gemeinsam mit ehemaligen FPÖ-Mitstreitern kandidiert er bei der Wiener Bürgermeisterwahl und gibt sich zuversichtlich. Den Streit mit der FPÖ schiebt Strache seinem Nachfolgern Hofer und dem Kickl in die Schuhe. Seinen Zorn gegen die beiden wegen des Parteirauswurfs kann er kaum verbergen.
Während Strache versucht, in die Politik zurückzukehren, ist Johann Gudenus aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ein gemeinsamer Bekannter, der georgische Geschäftsmann Levan Pirveli, sagt, die Freundschaft der beiden sei in eine erbitterte Feindschaft umgeschlagen. Priveli war der Kontaktmann der FPÖ in Russland. Er will Gudenus gewarnt haben, dass es die angebliche Oligarchennichte mit dem Namen Alyona Makarova gar nicht gebe. Daher mutmaßt er, Gudenus könne erpresst worden sein, Strache zum Treffen zu überreden.
Das Ibiza-Video hat für Strache und die FPÖ vieles verändert. Aber im Grunde, sagt Politikberater Hofer, habe sich in Österreich gar nichts geändert.