Die dunkle Vergangenheit von "America first"
1. Mai 2016DW: Donald Trumps außenpolitisches Motto "America first" geht zurück auf das America First Committee, das 1940 in den USA gegründet wurde, um die Vereinigten Staaten aus dem Zweiten Weltkrieg zu halten. Warum ist der Ruf dieser Organisation so schlecht?
Gary Gerstle: Am Anfang hatte das America First Committee überhaupt keinen schlechten Ruf. Eine kurze Zeit lang war es sogar sehr beliebt und erfuhr breite Unterstützung aus ganz verschiedenen Lagern des politischen Spektrums: von Konservativen, Liberalen und Linken. Es stand für zwei Dinge: erstens die klare Ablehnung des Kriegseintritts der USA, die sich aus der Ernüchterung über den US-Einsatz im Ersten Weltkrieg ergeben hatte. Der galt vielen als Fehler und das beflügelte, zweitens, eine sehr alte Sorge, die in das amerikanische Bewusstsein tief eingebrannt ist und ihre Wurzeln in der Gründungsphase der Vereinigten Staaten hat: die Angst vor zu engen Banden mit Europa und vor einer Verstrickung in europäische Angelegenheiten zum Nachteil der USA.
Oftmals wird das als Isolationismus bezeichnet, aber das scheint mir nicht das richtige Wort, denn es ist ja nicht so, dass die USA sich von der Weltpolitik abschirmen würden. Das passendere Wort wäre Unilateralismus. Die USA wollen in der Welt frei agieren, um ihre eigenen Interessen zu schützen.
Dieses Grundgefühl hat zur Gründung des America First Committee geführt, mit dem Bestreben, die USA aus weiteren Kriegen in Europa herauszuhalten. Und dazu gab es in der Bevölkerung kaum Gegenstimmen.
Wie geriet diese Anti-Kriegsbewegung dann in Verruf?
Einige prominente Unterstützer von "America first" bekundeten antisemitische Tendenzen und Sympathien für Hitler und die Nazis, allen voran der Flugpionier Charles Lindbergh. Er war Hitler und anderen Nazis in den später 1930er Jahren begegnet und bewunderte, was sie getan hatten, und er vertrat von sich aus einige antisemitische Ansichten.
Im Jahr 1941 trat Lindbergh dem America First Committee bei und wurde als einer der bekanntesten Männer der USA zum Sprachrohr der Bewegung. Lindbergh wollte den Ausgleich mit Hitler suchen und einen Friedensvertrag schließen. Er hielt Reden, in denen er davor warnte, dass bestimmte Gruppen im Interesse der britischen und jüdischen Wirtschaft die USA in den Krieg treiben wollten. Dabei gibt es keine Fakten, die dafür sprechen, dass Juden hier eine besondere Rolle spielten.
Als Lindberghs Affinität zu den Nazis bekannt wurde, ruinierte das nicht nur seinen Namen für alle Zeit, die ganze Bewegung geriet in Verruf. Seither will kein Politiker mehr mit dem America First Committee in Verbindung gebracht werden - außer ein paar Sonderfällen. Umso erstaunlicher ist es, dass ein voraussichtlicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner genau das mit voller Absicht tut.
Was sagt es über Donald Trump aus, dass er "America first" zum Motto seiner Außenpolitik gemacht hat?
Ich glaube nicht, dass Trump mit den Nazis sympathisiert oder wie Lindbergh für Hitler schwärmt. Ich sehe darin eher eine Kombination aus Trumps Ignoranz und seiner Cleverness, ganz bewusst provokative Slogans zu wählen.
Wahrscheinlich weiß er nicht viel über das America First Committee und auch nicht über Lindbergh. Ich glaube nicht, dass er versteht, wie der Antisemitismus den Widerstand gegen die Verwicklung der USA in den Zweiten Weltkrieg verseucht hat. Er hat sich einfach einen Slogan gesucht, der ihm besonders eingängig erschien und in dem sein wirtschaftlicher Nationalismus mitschwingt.
Glauben Sie, dass US-Wähler sich der Herkunft von Trumps Slogan bewusst sind?
Ich glaube, viele Amerikaner wissen gar nichts über "America first von 1940 und 1941. So tief ist das amerikanische Geschichtsbewusstsein nicht. Aber die Medien zeigen die Verbindung zu jener Zeit auf und veröffentlichen immer neue Artikel darüber. Es dürfte also vielen klar werden, dass "America first" einmal eine sehr bösartige Organisation war, und Trumps Versuche, es einfach wie ein patriotisches Bekenntnis klingen zu lassen, werden fehlschlagen.
Gary Gerstle ist US-Amerikaner und Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Cambridge in Großbritannien.
Das Interview führte Michael Knigge.