Die düsteren Filme von Jean-Pierre Melville
20. Oktober 2017In einer kurzen Sequenz des Films sieht man den blutjungen Volker Schlöndorff in der Rolle eines deutschen Grenzpostens. Der spätere Regisseur und Oscar-Preisträger hatte das Filmhandwerk zu Beginn der 1960er Jahre in Frankreich erlernt. Auch bei Jean-Pierre Melville (1917-1937), dem großen französischen Regisseur, der heute vor allem aufgrund seiner kühlen Gangsterfilme ("Der eiskalte Engel") bekannt ist. Melville gilt als Urvater des Kriminalfilms und hat zahlreiche Regisseure, darunter Martin Scorsese und Quentin Tarantino, beeinflusst. Doch vor seinen großen Gangsterepen hat sich Melville in drei anderen Werken intensiv mit dem Frankreich der Besatzungszeit auseinandergesetzt.
Sensibler Umgang mit dem Thema
Im zweiten Teil dieser Trilogie über die Besatzungszeit, "Léon Morin, prêtre" (der in Deutschland unter dem Titel "Eva und der Priester gezeigt" wurde), hatte Melville Schlöndorff mit der Regieassistenz betraut - und eben mit einer kurzen Rolle als deutscher Soldat. Auch dies darf man als Zeichen für den Umgang Melvilles mit dem Thema bewerten. Der Regisseur verzichtete bei seiner Zeichnung der Deutschen auf eine grobe Schwarz-Weiß-Rasterung. Seine Filme zeichneten sich stets durch einen differenzierten Umgang mit seinem Thema aus. Zwischentöne und Zweifel - das waren Merkmale der filmischen Trilogie über das Frankreich unter deutscher Besatzung.
Ursprünglich hatte "Eva und der Priester" eine Länge von über drei Stunden. Jean-Pierre Melville: "Ich hatte eine Art großer Freske über die Besatzungszeit gemacht, über die Probleme der Nahrungsmittelbeschaffung, über alle möglichen Obsessionen einer einsamen Frau, einschließlich der sexuellen." Nach einer ersten Sichtung kürzte Melville seinen Film um fast eine Stunde, mit dem Ergebnis, dass sich die Gewichte nun verschoben. Im Zentrum des Films standen jetzt die junge Jüdin Eva (gespielt von Emmanuelle Riva) und der Priester Léon Morin (verkörpert von Jean-Paul Belmondo) sowie deren Gespräch über Theologie und Religion. Das Thema Besatzung rückte in den Hintergrund.
Diskutieren in schwierigen Zeiten
Melville zeigt in "Léon Morin, prêtre" eine junge Frau in der französischen Provinz, intelligent und politisch links eingestellt, die der offiziellen Kirche und dem Katholizismus nichts abgewinnen kann. Ihr Mann ist im Krieg gefallen, die gemeinsame Tochter versteckt sie vor den Nazis. Eva arbeitet tagsüber in einem Schreibbüro. Dort hat sie eine Freundin, die Katholikin ist und der Vichy-Regierung nahesteht. Mit ihr, vor allem aber mit dem jungen, attraktiven Priester diskutiert sie über ein Leben mit oder ohne Glauben in schwierigen Zeiten.
Es sind diese langen Wortgefechte zwischen Eva und Léon Morin, die dem Film seinen Rhythmus verleihen. Ein intensives Kammerspiel ist daraus geworden, auch Jahre nach seiner Entstehung sehenswert. Der Filmpublizist Hans Gerhold schrieb: "Léon Morin ist alles andere als ein sturer Dogmatiker. Melville umgeht das Problem eines von Theorie überbordenden Films durch die Person dieses Priesters, der nichts von der Frömmigkeit etwa des Pfarrers in Robert Bressons Film 'Tagebuch eines Landpfarrers' hat, sondern ein kämpferischer Christ ist."
Kein antireligiöser Film
Melvilles Werk über eine große Kirchenzweiflerin und einen unkonventionellen und noch dazu attraktiven Priester ist kein Film, der es der offiziellen Kirche der Zeit leicht gemacht hat. Jean-Pierre Melville in einem Interview im Jahre 1973: "Ich glaube nicht, dass 'Léon Morin, prêtre' ein antireligiöser Film ist und dass er als solcher empfunden werden könnte. Im Gegenteil, ich finde, dass er ein sehr katholischer Film ist. Im Übrigen war die katholische Kirche in Frankreich der gleichen Meinung, denn sie hat ihn als solchen anerkannt."
Auch nach fünf Jahrzehnten liegt der Reiz des Films gerade in dieser ungemein ernsthaften wie gleichzeitig sehr unterhaltsamen Auseinandersetzung mit Religion und Kirche. Welche Stütze kann der Glaube den Menschen in schwierigen Zeiten (in diesem Fall während der deutschen Besetzung) geben? Die Frage, die der Film 1961 formulierte, hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Volker Schlöndorff, inzwischen selbst ein anerkannter und erfolgreicher Regisseur, kam übrigens Jahre später noch einmal auf das Thema zurück. In seinem Film "Das Meer am Morgen" stellte er ähnliche Fragen, wie sie schon Jean-Pierre Melville formuliert hatte. Auch "Das Meer am Morgen" spielt zu Beginn der 1940er Jahre in Frankreich unter der Knute der nationalsozialistischen Besatzer.
Jean-Pierre Melville: Eva und der Priester, Frankreich 1961, 113 Minuten, mit Emmanuelle Riva, Jean-Paul Belmondo u.a., auf DVD in der Reihe Arthaus Retrospektive bei Studiocanal erschienen.