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Die EU und die Zypern-Frage

Gerda Meuer4. Dezember 2001

Es besteht kein Zweifel: Zypern gehört zu den Spitzenreitern unter den EU-Beitrittskandidaten. Aber auch "Klassenbesten" haben manchmal ihre Probleme.

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Demarkationslinie auf ZypernBild: AP

Die Insel vor der türkischen Südküste erhält vor Ungarn und Slowenien schon zum dritten Mal die besten Noten bei der Vorstellung der so genannten Fortschrittsberichte. Darin wird auf Hunderten von Seiten penibel aufgelistet, wie weit es den insgesamt 12 Aspiranten auf einen Dauer-Platz am Tisch der 15 EU-Staaten gelungen ist, sich dem EU-Gemeinschaftsrecht anzupassen. Und Zypern hat die Nase vorn, ob es um Fragen der Justiz geht, um die Angleichung der Verwaltung an EU-Standard oder um die Agrarwirtschaft - in allen sensiblen Bereichen der EU-Regelwerke schneidet Zypern so gut ab, dass in Brüssel klar ist: Wenn Zypern nicht beitrittsfähig ist, welcher der übrigen 9 ernsthaften Kandidaten sollte es dann sein.

Zypern-Problem bedroht EU-Erweiterung

Doch auch die "Klassenbesten" haben unabhängig von ihren "schulischen Leistungen" manchmal Probleme. Und Zypern hat ein massives Problem, so massiv, dass Beobachter in Brüssel bereits fürchten, dass die gesamte Erweiterung der Europäischen Union daran scheitern könnte: Seit 1974 ist die Insel geteilt - in einen griechischen und einen türkischen Teil. Nach wie vor ist die Frage ungelöst, wie bei einer Aufnahme des Landes mit dieser Teilung umgegangen wird. Zwar haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel in Helsinki vor zwei Jahren darauf geeinigt, dass die Überwindung der Teilung nicht mehr als politische Vorbedingung für eine Mitgliedschaft gelten solle. Nach dem Muster des geteilten Nachkriegsdeutschland wäre dann nur im griechischsprachigen Südteil der Insel das EU-Recht gültig. Erwartet hatte man sich von dem Beschluss in Helsinki, dass die Zeit schon alles richten werde, und die Friedengespräche unter Vermittlung der UNO Wirkung zeigten.

Doch seit Helsinki hat sich in der Zypern-Frage nichts getan. Brüssel läuft nun die Zeit davon: Die jüngsten Fortschrittsberichte sind die letzte Zwischenbilanz auf dem Weg zur Erweiterung. Ende 2002 müssen die Verhandlungen abgeschlossen werden, damit - wie beim Gipfel in Göteborg beschlossen - die ersten neuen EU-Staaten 2004 an den Wahlen zum Europa-Parlament teilnehmen können. Und wenn bis dahin keine Lösung gefunden wird, dann muss die EU wohl oder übel den Süden der Insel gegen den Willen Ankaras aufnehmen.

Denn sonst droht einen andere Front aufzureißen: Wenn Zypern aus politischen Gründen nicht zu der ersten Runde der Beitrittskandidaten zählen sollte, dann könnte sich das Parlament Griechenlands - so die Befürchtung in Brüssel - als Revanche gegen die Mitgliedschaft der anderen Kandidaten stellen. Und das möchte niemand riskieren.

"Warten auf den großen Knall"

Trotzdem: getan wird gegen die drohende Gefahr kaum etwas. Ein Brüsseler Diplomat wird mit den Worten zitiert: "Alle stecken den Kopf in den Sand und warten auf den großen Knall." Dabei sind die Chancen auf eine Lösung des Zypern-Konflikts seit dem 11. September noch schlechter geworden: In der neuen sicherheitspolitischen Lage sind die EU und die NATO auf einen zuverlässigen Partner am Bosporus angewiesen. Und seitdem Ankara den USA Truppen für den Afghanistan-Krieg zugesagt hat, gibt es Anzeichen dafür, dass es auch Washington gerne sähe, wenn die Zypern-Frage einvernehmlich geregelt werden könnte.

Beispielswiese durch Forcierung der Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei: Bislang hat die Union noch nicht einmal Verhandlungen mit Ankara aufgenommen, weil die Defizite in Fragen der Menschenrechte und der Rolle der Militärs zu eklatant sind. Und es gibt noch einen zweiten Konfliktherd zwischen Ankara und Brüssel: Seit Monaten verweigert die Türkei als NATO-Mitglied der EU den Zugriff auf die Planungskapazitäten und militärische Fähigkeiten der NATO. Die Türkei verlangt ein Mitspracherecht bei der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Das aber will die EU nicht zulassen.

Angesichts dieser völlig unterschiedlichen Interessenlage sehen Beobachter kaum noch Chancen für eine rechtzeitige Friedenslösung auf der geteilte Insel. Die EU, so Erweiterungskommissar Verheugen in einem Interview, steuere "sehenden Augens" auf ein großes Problem zu.