Die FIFA erklärt sich zu Katar 2022
12. Februar 2014"Wir wollten Katar, und wir ziehen das durch." Fast trotzig reagierte FIFA-Präsident Joseph Blatter noch im Oktober auf Berichte über unmenschliche Arbeitsbedingungen und Todesfälle auf den WM-Baustellen in dem Emirat. Die englische Tageszeitung "The Guardian" hatte recherchiert, dass allein zwischen Juni und August über vierzig Nepalesen bei Arbeitsunfällen oder an Herzversagen gestorben waren. Die Botschaften von Indien und Nepal, woher die meisten Bauarbeiter stammen, gehen von jeweils bis zu zweihundert Todesfällen in 2013 aus.
Im November verpflichtete sich Katar nach Gesprächen mit der FIFA, einen Bericht über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu liefern. Der ist diesen Mittwoch (12.02.2014) vorgelegt worden und bildete die Grundlage für die Anhörung von Theo Zwanziger vor dem Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments am Donnerstag. "Die FIFA begrüßt die konkreten eingeleiteten Schritte, die vom Obersten Rat für Organisation und Nachhaltigkeit bekannt gegeben wurden, um das Wohl der für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2022 tätigen Arbeiter zu gewährleisten", erklärte der Weltfußballverband gegenüber der DW. Nun komme es darauf an, "dass alle beteiligten Akteure an einem Strang ziehen und die begonnenen Aktionen auf dieselbe Weise fortsetzen." Um welche konkreten Schritte es sich dabei handelt, dazu gab es jedoch keine Auskunft.
"Die WM-Vergabe an Katar hat zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem Menschenrechtsfragen nicht in hohem Maße thematisiert wurden", sagte Zwanziger vor dem Parlamentsausschuss. "Wir werden diesen Fragen einen wesentlich höheren Stellenwert beimessen müssen." Den Vorschlag, Katar die WM 2022 wieder zu entziehen, nannte Zwanziger dennoch "kontraproduktiv".
Bis zu viertausend Opfer befürchtet
"Katar ist ein Sklaven-Staat", empört sich die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes ITUC, Sharan Burrow, im DW-Interview: "Es gibt dort keine Vereinigungsfreiheit. Die Arbeiter leben im Elend, sie arbeiten unter extremen Bedingungen unter großer Hitze, sie haben nicht genug zu trinken. Sie haben kein geregeltes Wochenende und keine angemessene Gesundheitsversorgung." Arbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden sind dem ITUC zufolge an der Tagesordnung. In den Massenunterkünften gäbe es oft keinen Strom und die hygienischen Bedingungen seien katastrophal. Der ITUC befürchtet, dass die Zahl der Toten bis zur WM 2022 auf bis zu 4000 steigen könnte, wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht grundlegend verbessern.
Mit "Verbesserungen" allein sei es nicht getan, ergänzt ITUC-Direktor Tim Noonan gegenüber der DW: "Katar braucht Gesetze, nach denen Arbeiter wie Menschen behandelt werden und die ihnen das Recht geben, sich von der absoluten Kontrolle durch den Arbeitgeber im Rahmen des Kafala-Systems zu befreien." Dieses Prinzip der Bürgschaften gilt in fast allen Staaten der Golfregion: Die Verantwortung für ausländische Arbeiter liegt bei den Arbeitgebern. Arbeiter müssen ihre Pässe abgeben und dürfen das Land ohne Einwilligung ihres Arbeitgebers nicht wieder verlassen, können aber auf Geheiß der Firma ausgewiesen werden, auch ohne Lohnzahlung. Gewerkschaften sind verboten. Ausstehende Löhne einzuklagen ist nahezu unmöglich.
FIFA will Einfluss auf Katar nehmen
Neun Fußballstadien sollen bis 2022 in Katar neu gebaut und drei bestehende Arenen renoviert werden. Dazu kommt die notwenige Erweiterung der Infrastruktur: In dem Wüstenstaat muss das Straßennetz und der Nahverkehr ausgebaut, die Trinkwasserversorgung und Unterkünfte für die Fußballer und Besucher aus aller Welt sichergestellt werden. Von den 1,9 Millionen Einwohnern Katars sind nur zwölf Prozent Katarer. Damit hat das Land die höchste Quote an Arbeitsmigranten weltweit. Die meisten arbeiten auf dem Bau oder als Haushaltshilfen.
"Die FIFA hat angeboten, Katar von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass Arbeiter Rechte haben", sagt Sharan Burrow. "Wir befürchten aber, dass am Ende keine Vereinigungsfreiheit dabei herauskommen wird, kein Recht auf kollektive Lohnverhandlungen und keine Verbesserung des Beschwerdesystems."
Der Weltfußballverband selbst hingegen geht davon aus, dass die WM dazu beitragen wird, "die Einführung einheitlicher und angemessener Arbeitsnormen in Katar voranzutreiben". Dabei sollen "die zuständigen Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) eingebunden werden", erklärte die FIFA gegenüber der DW.
Fehlender politischer Wille
Barbara Lochbihler, die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des EU-Parlaments begrüßt die Bereitschaft der FIFA, sich zur Lage in Katar zu äußern. Der Termin vor dem EU-Parlament wird aber kaum mehr als ein Informationsaustausch sein. Die EU könne "Politikempfehlungen an die Regierung von Katar, aber auch an die FIFA oder auch an die Internationale Arbeitsorganisation ILO aussprechen", sagt Lochbihler. Noch nicht einmal Sanktionen gegen europäische Firmen, die die Rechte und den Schutz der Arbeiter in Katar verletzen, sind zurzeit denkbar. "Das kann ich als einzelne Abgeordnete fordern, aber mein Ausschuss hat dazu keine Position", räumt sie ein.
Nicht nur die Europawahl im Mai wird nach Lochbihlers Einschätzung verhindern, dass das Parlament sich zu einer klaren Haltung gegenüber Katar durchringt: "Wenn wir jetzt keine Wahl hätten, könnte man nach der Anhörung eine Resolution dazu verabschieden. Ein Punkt dieser Resolution ist der Boykottaufruf. Das geht jetzt zeitlich nicht. Aber auch inhaltlich würde es keine politische Mehrheit geben."
Sollte Katar an der Menschenrechtssituation für Arbeitsmigranten nichts ändern, habe die FIFA keine Wahl, sagt Sharan Burrow: "Dann muss sich die Abstimmung über die WM 2022 wiederholen wenn sie die WM nicht in einem Sklavenhalterstaat austragen will."