Die Fremde
11. März 2010Die Geschichte hat man so oder ähnlich schon gehört. Unter die Haut geht sie trotzdem. Und Fragen stellt sie, viele Fragen. Es ist die Geschichte von Umay, die in Istanbul verheiratet ist, einen Sohn hat und einen Mann, der sie schlägt und missbraucht. Vor dem sie flieht, nach Hause, zu ihrer Familie nach Berlin und dann erfahren muss, dass sie den Eltern und Geschwistern damit zu viel zumutet. Weil die Traditionen doch stärker sind, weil die Ehre der Familie mehr zählt als Glück und Selbstbestimmung einer Tochter. "Die Fremde" heißt dieses Kinodebüt von Feo Aladag, und dieser Titel hat, so die Regisseurin und Drehbuchautorin, mehrere Bedeutungen.
Zum einen wird Umay im Laufe der Geschichte innerhalb ihrer Familie zur Fremden. "Weil sie sich nicht gesehen, weil sie sich nicht akzeptiert fühlt. Und wenn wir uns nicht gesehen, nicht akzeptiert, nicht geliebt fühlen, fühlen wir uns fremd". Und der andere Aspekt sei natürlich, sagt Feo Aladag, "dass Umays Familie sich in der Fremde aufhält und vieles als fremd empfindet."
Abgründe, die trennen
Feo Aladag hat vor sechs Jahren im Auftrag von Amnesty International Spots für die Kampagne "Gewalt gegen Frauen" gedreht. Zeitgleich, sagt sie, hätten sich damals in den deutschen Medien die Berichte über sogenannte "Ehrverbrechen" gehäuft. In diesem Zusammenhang entstand dann die Idee zu ihrem Film. In erster Linie sei es wichtig gewesen, ein stimmiges Milieu zu erzählen. "Und dafür", so Aladag, " war es wesentlich, eine Welt zu entdecken und zu erforschen. Ich habe sehr viel Zeit in Frauenhäusern verbracht, ich habe sehr viele Gespräche mit Betroffenen, mit Angehörigen geführt, ich hatte tolle Berater, die mir zur Seite gestanden haben. Andererseits ging es darum, eine Reise in die eigene Seele zu machen, um zu erforschen, über welche Gefühle erzähle ich da. Und insofern ist "Die Fremde" natürlich auch ein sehr persönlicher Film für mich".
Der Film möchte keine Studie und auch kein Portrait der türkischen Einwanderer sein, sondern ein cineastisches Drama, das die ganz konkrete, spezifische Geschichte von Umay erzählt, die in Berlin für sich und ihren kleinen Sohn ein neues Leben aufbauen möchte, die sich eine Arbeit sucht, abends die Schulbank wieder drückt, die sich verliebt, in Stipe, den Kollegen, und die dennoch nicht von der Familie lassen kann, die sie verstoßen hat, weil Umays neuer Lebensweg ihren Ruf beschädigt hat.
Gefangen in Konventionen
Sie habe schon bei der Lektüre des Drehbuchs das Gefühl gehabt, dass hier niemand verurteilt werde, sagt Sibel Kekilli, die ihr großes schauspielerisches Talent erstmals in Fatih Akins vielfach ausgezeichnetem Film "Gegen die Wand" bewies und nun in Feo Aladags Kinodebüt als Umay überzeugt. Als eine junge Frau, die auf der Suche nach dem dritten Weg ist, möchte sie doch Tradition und Moderne miteinander versöhnen, möchte sie doch Selbstbestimmung und die Anerkennung ihrer Familie.
Sie glaube, sagt Feo Aladag, dass Menschen versuchen müssen, Liebe nicht an Bedingungen zu knüpfen. "Dass wir unsere Kinder und die Menschen, die wir lieben, so sein lassen können ohne sie zu funktionalisieren, ohne sie nur dann zu akzeptieren, wenn sie nach den Mustern leben und funktionieren, die wir uns vorstellen. Und ich glaube, das ist etwas Universelles, was generell im Leben gilt. Darin sehe ich den Lösungsansatz."
Umays Familie ist dazu nicht in der Lage. Sie leidet und zerbricht beinahe unter der Übermacht der Konventionen, und sie kann dennoch nicht vergeben. Der jüngste Sohn ist es, der seine geliebte Schwester Umay erschießen soll.
Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Marlis Schaum