"Die Geister, die ich rief ..."
14. Mai 2003Mitte der 1980-er Jahre änderte der saudische Monarch seinen offiziellen Titel. Aus "Seiner Majestät der König" wurde ein "Hüter der Heiligen Stätten des Islam" - womit der saudische König verbal zu einer wichtigen Persönlichkeit für die gesamte muslimische Welt aufgewertet wurde. Diese "Veränderung" wurde damals sowohl in Riad als auch in Washington mit großem Wohlwollen aufgenommen. Denn sie war auf beiden Seiten mit handfesten Interessen verbunden.
Gemeinsame Interessen der USA und der Saudis
Die Prinzen der Königsfamilie waren froh, dass ihr Oberhaupt, König Fahd, zum Großen Führer der islamischen Welt avancierte. Das bot mehr Sicherheit gegen inner-islamische Gegner, zumindest symbolisch: Denn jeder Angriff auf das Königshaus konnte fortan als Angriff auf den Islam an sich dargestellt werden. Für die Amerikaner jedoch war ein anderer Aspekt noch viel wichtiger: die Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes, der inzwischen von der Bildfläche verschwunden ist. Gemeint ist der Kommunismus und sein weltpolitischer Hauptvertreter, die UdSSR. Ihr Einfluss sollte auch im konflikt- und rohstoffreichen Nahen Osten möglichst klein gehalten werden.
"Guter Osama": Beifall von beiden Seiten
Damals schaute die US-Regierung zwar bisweilen etwas verwundert, aber durchaus mit Wohlwollen auf den zunehmenden Eifer, den die saudische Königsfamilie beim Kampf gegen den Kommunismus an den Tag legte. Denn die Saudis bekämpften den Kommunismus durch Finanzierung islamistischer Parteien und deren Unterstützung von Indonesien über Marokko bis nach Afghanistan, dem damaligen Standort des saudi-arabischen Terroristen Osama Bin Laden.
Bin Laden führte damals noch keinen "Heiligen Krieg" (Djihad) gegen die Amerikaner, sondern - wie es damals hieß - gegen die "sowjetischen Gottlosen". Dafür erhielt er Glückwünsche in zwei Sprachen: einmal auf Englisch mit amerikanischen Akzent, und ein anderes Mal auf Arabisch in saudischem Dialekt. Mit anderen Worten: Solange Osama bin Laden gegen die Sowjets vorging, genoss er Rückhalt in Riad und Washington.
Kommunismus als Feindbild hat ausgedient - und nun?!
Doch die Zeiten haben sich geändert, denn nach dem Zusammenbruch des Kommunismus haben die von Saudi-Arabien unterstützen islamischen Extremisten ihren Wert für Washington verloren, und umgekehrt gilt dasselbe: Die USA gehören heute, neben Israel, zu den Hauptfeinden international agierender Muslim-Extremisten - und dies nicht erst seit den Terroranschlägen vom 11. September. Eine Konsequenz, die die Amerikaner daraus zogen, war: Sie forderten das saudische Könighaus auf, alle Unterstützung für islamistische Gruppen einzustellen. Kein Wunder: Von den 19 Terroristen, die am 11. September gegen die USA losschlugen, stammten allein 15 aus Saudi-Arabien. Dies ließ in Washington die Alarmglocken schrillen.
Riad und der Fundamentalismus
So einfach werden die Saudis die Geister nicht mehr los, die sie selbst gerufen haben. Die saudische Regierung selbst hat im eigenen Land schon vor Jahrzehnten eine extrem konservative, geradezu fundamentalistische Ordnung etabliert, beruhend auf der wahhabitischen Denkschule innerhalb des Islam. Verglichen mit dieser Ordnung erscheint selbst die iranische Gesellschaft noch liberal.
Der Wille zur Veränderung und Modernisierung, der manchmal aus Reihen des saudischen Königshauses geäußert, erscheint vor diesem Hintergrund eher wie ein verbales Zugeständnis an die Amerikaner. Tatsache ist, dass die saudische Regierung kein weiterführendes politisches Programm im Sinne der von Washington propagierten "Demokratisierung" des Nahen Ostens anzubieten hat. Zwar ist immer wieder mal von der Einführung eines Parlaments die Rede - oder von der Bildung zivilgesellschaftlicher Einrichtungen. Aber von einer echten Demokratie ist die konservative Gesellschaft Saudi-Arabiens noch weiter entfernt als die meisten anderen Staaten in der Region.
Ein weiteres Problem besteht in der Durchdringung der saudischen Gesellschaft durch Mitglieder des Terrornetzwerks El Kaida. Osama bin Ladens Organisation genießt signifikanten Rückhalt nicht nur in unterschiedlichen Regionen, sondern auch in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten des Landes - bis hin zu den Wohlhabenden. Die saudische Regierung kann dies nur schwerlich ignorieren, wenn sie ihre eigene Herrschaft nicht gefährden will.
Hausgemachtes Dilemma
Würde sie das Land demokratischen Ideen öffnen, dann würde sie von El Kaida und ähnlichen Kräften beschuldigt, substanzielle religiöse Grundlagen aufzugeben bzw. den Islam an sich zu verraten. Solche Behauptungen finden breite Resonanz in einer Gesellschaft, die seit Jahrzehnten in der Gedankenwelt der Vorväter erzogen wurde. Doch auch echte oder vermeintliche Zugeständnisse gegenüber islamistischen Hardlinern zeigen keinen Weg aus dem Dilemma: Es hat der saudischen Regierung nichts genützt, dass sie sich nicht am Krieg gegen den Irak beteiligt hat.
Und es hat ihr auch nicht geholfen, dass sie den von Washington angekündigten Rückzug der US-Truppen aus dem Königreich begrüßte, deren Anwesenheit "auf heiligem Boden" immer wieder von fundamentalistischen Kräften angeprangert worden war - etwa von El-Kaida-Chef Osama bin Laden. Riad hatte gehofft, dass die Nicht-Beteiligung am Krieg und der Abzug der US-Truppen den fanatischen Kräften im Land den Wind aus den Segeln nehmen könnten. Oder dass man sie so zumindest etwas milder stimmen kann. Wie sich jetzt gezeigt hat: ein Trugschluss.
Menschen wollen Veränderung
Die Mehrheit der saudischen Bevölkerung steht nach wie vor hinter ihrer Regierung und dem Königshaus. Aber gleichzeitig verlangen die Menschen nach Veränderung und gesellschaftlicher Modernisierung. Es ist aber auch wahr, dass es eine Minderheit gibt, aus der sich die El-Kaida-Kämpfer rekrutieren, und die deshalb eine permanente Gefahr darstellt: Fanatiker, die ihre Ziele gewaltsam verfolgen und dafür auch zum Selbstmord bereit sind. Das Erschreckende und für Saudi-Arabien besonders Typische dabei ist: In ihrer religiös eingefärbten Propaganda sprechen diese Extremisten eine ähnliche Sprache wie das Königshaus und die Regierung.