Gipfel zur geplagten Ostsee
10. Februar 2010In der Lotsenzentrale von Helsinki sitzt Kai Parnanen vor einer Wand voller Bildschirme. Von hier aus wird der Schiffsverkehr im nördlichen Teil des Finnischen Meerbusens überwacht. Seit einigen Minuten verfolgt Parnanen einen blinkenden Leuchtpunk auf der virtuellen Seekarte: Eine Passagierfähre aus Estland nähert sich dem Kontrollsektor.
"In der Finnischen Bucht haben wir es mit Frachtern, Tankern und allen nur denkbaren Schiffen zu tun", erläutert der Finne. "Wir halten Kontakt mit Kapitän und Lotse und sehen zu, dass sie auf ihren zugewiesenen Routen bleiben. Bei kniffligen Passagen können wir Schlepper und Eisbrecher zur Unterstützung schicken."
Intensiver Schiffsverkehr
Die rund 400 Kilometer lange Bucht zwischen Finnland, Estland und Russland gehört zu den meist befahrenen, aber auch gefährlichsten Wasserstraßen der Welt. So ist die Ostsee hier an gut 100 Tagen im Jahr von Eis bedeckt. Und in der Inselwelt vor der finnischen Küste ist beim Navigieren höchste Konzentration gefordert, gibt Parnanen zu bedenken: "Wenn ein Schiff im Archipel aus dem Ruder läuft, lässt sich kaum noch etwas ausrichten. Innerhalb von Sekunden sitzt man auf Grund."
In den Sommermonaten sind im Tagesschnitt rund 2.000 Schiffe in der Ostsee unterwegs, oft mit gefährlicher Ladung an Bord – Tendenz steigend. Allein bei den Öltransporten aus den russischen Häfen könnten nach Schätzungen von Experten - abhängig von der Wirtschaftslage - statt der 145 Millionen Tonnen des Jahres 2008 bald schon bis zu 260 Millionen Tonnen bewegt werden. Doch nicht allein der zunehmende Schiffsverkehr mit dem steten Risiko einer Havarie setzt dem schon jetzt schwer belasteten Meer zu.
Ein weiteres Problem ist die Überdüngung des ohnehin sauerstoffarmen Wassers, sagt die Meeresbiologin Maria Laamanen: "Zwar ist der Eintrag von Nährstoffen im Trend rückläufig, was vor allem auf die bessere Reinigung von Abwasser im Einzugsgebiet zurückzuführen ist, etwa in der Großstadt Sankt Petersburg. Doch die Überdüngung der Ostsee ist vor allem wegen der intensiven Landwirtschaft ein ungelöstes Problem."
Sorge um die Ostsee verbindet
Auch von sicheren Beständen zum Erhalt der Artenvielfalt könne nach wie vor keine Rede sein. Laamanen arbeitet für die Helsinki-Kommission, kurz HELCOM. Das Gremium wurde 1974 von den Ostsee-Anrainer-Staaten gegründet, über alle damaligen Blockgrenzen hinweg. Die Organisation mit Sitz in Helsinki koordiniert Forschungsprojekte, arbeitet konkrete Reduktionsziele der Länder aus und stößt politische Debatten an.
"Wir hatten einige Erfolge bei der Verbannung von Giftstoffen wie Dioxin, PCB und DDT", betont Laamanen. Pestizide und Weichmacher gelangten vor allem durch die Flüsse aus dem Einzugsgebiet in die Ostsee, wo sie in die Nahrungskette gelangten. "Das führte zu großen Problemen bei der Reproduktion von Robben und Vögeln. Inzwischen haben sich die Populationen der Kegelrobben und Weißkopfseeadler nachweislich erholt."
Allerdings sind den meisten Versprechen der HELCOM-Partner bis heute kaum Taten gefolgt. Ungeachtet des gemeinsamen Aktionsplans zur Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts nimmt im Sommer die Algenblüte in der Ostsee regelmäßig erschreckende Ausmaße an. Die Fischer haben immer weniger in ihren Netzen.
Gipfel der Versprechungen
Ihr Gipfeltreffen mit der feierlichen Verpflichtung privater und staatlicher Akteure zu konkreten Projekten preisen die finnischen Gastgeber denn auch als neuartigen Ansatz zur Sanierung des Meeres. Gleichwohl hielten sich die großen Anrainerstaaten Deutschland und Polen auffallend zurück, bedauert Saara Kankaanrinta. Sie ist Generalsekretärin der Lobbyorganisation Baltic Sea Action Group, von der die Initiative zum Gipfel ausgegangen ist. Es sei das erste Mal, dass jemand so viele Staats- und Regierungschefs sowie Chefs von Unternehmen und Forschungseinrichtungen an einem Ort zusammenbringe. "Nicht um neue Deklarationen zu verfassen, sondern um konkret zu sagen, was sie zu tun gedenken."
Der Initiative haben sich Logistikunternehmen, Hafenbetreiber und weitere Unternehmen angeschlossen, die am Zustand der Ostsee nicht ganz unbeteiligt sind. Ganz uneigennützig seien die Verpflichtungen der Privatwirtschaft nicht, räumt Kankaanrinta ein: "Natürlich wollen die Firmen auch bei der Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien mit dabei sein. Das kann sich dann später gegenüber den Mitbewerbern auszahlen."
Beim nächsten Ministertreffen der HELCOM-Partner im Mai wird es mit Händeschütteln allein nicht getan sein. Dann müssen die Staaten Farbe bekennen. Und erklären, wie weit sie mit der Umsetzung ihres Aktionsplans und mit der Erfüllung der konkreten Reduktionsziele gekommen sind.
Autor: Alexander Budde
Redaktion: Hartmut Lüning