Die Geschichte einer Beschneidung
8. März 2020Als Beryl Magoko zehn Jahre alt ist, wird sie in ihrer kenianischen Heimat beschnitten. Bis heute kann sie sich ganz genau an diesen Tag erinnern: "Wenn ich eine Malerin wäre, könnte ich alles genau nachzeichnen", erzählt Magoko im DW-Interview. "Ich erinnere alles: die Farben, die Gerüche. Ich kann die Farben sehen, die Klamotten, die schmutzigen Hände". Traumatische Bilder und Schmerzen, die unerträglich gewesen seien.
Als Kind kann sie über das, was sie erlebt hat, nicht reden. Genitalverstümmelung ist in Kenia zumindest auf dem Dorf noch ein Tabuthema. Dabei ist die Female Genital Mutilation (FGM) in Kenia seit 2011 verboten. Trotzdem wird sie in vielen afrikanischen und asiatischen Staaten nach wie vor praktiziert. Ein Mädchen, das nicht beschnitten ist, gilt in ländlichen Gegenden noch als beschmutzt. Auf ihm lastet ein großer sozialer Druck.
Das Schweigen über die Beschneidung brechen
Dieser Druck treibt Beryl Magoko als zehnjähriges Mädchen zu einer Frau, von der sie beschnitten wird. An das Gesicht der Frau kann sie sich bis heute nicht mehr erinnern. "So ein hässliches Tier habe ich noch nie gesehen in meinem Leben", sagt die junge Filmemacherin. Magoko hat die Leerstelle in ihrem Gedächtnis mit der Fratze eines Monsters gefüllt.
Andere Frauen, die Ähnliches in ihrer Kindheit erlebt haben, schweigen über das, was sie erlebt haben. Beryl Magoko, die seit fünf Jahren in Bonn lebt, aber will über Genitalverstümmelung reden. Auch über ihre eigene. Und dreht schließlich mit "In Search" einen Film über ihre körperlichen und seelischen Schmerzen. Ein Film, in dem sie die Hauptprotagonistin ist und gleichzeitig auch Regie führt.
"Eine Frau hatte nichts zu sagen"
Eine Reise zu sich selbst, die die Mittdreißigerin auch in ihr kenianisches Heimatdorf führt. Dort versucht sie zaghaft, mit ihrer Mutter ins Gespräch zu kommen. Die Mutter hatte ihre Beschneidung damals nicht forciert, habe sie aber auch nicht verhindern können: "Früher wurden Frauen schlecht behandelt", erläutert die Mutter in dem Film. "Eine Frau hatte nichts zu sagen. Der Mann hat sich um alles gekümmert."
Zu dieser Zeit durfte ein Mädchen noch nicht einmal zur Schule gehen. Im Laufe des Films sucht Magoko das Gespräch mit anderen Frauen, die ebenfalls eine Genitalverstümmelung erlebt haben. Einige von ihnen haben das Erlebte verdrängt und versuchen, trotz dieser Gewalttat ein erfülltes Leben zu führen. Andere haben sich einer neuen Operationsmethode unterzogen.
Wiederbekommen, was einem genommen wurde
Im Laufe des Films wächst bei Beryl Magoko der Entschluss, das, was ihr genommen wurde, wieder zu bekommen. Sie will sich operieren und ihre Klitoris rekonstruieren lassen. Damit versucht sie, ihre Würde zurückzugewinnen. Am Schluss des Films fährt Beryl noch einmal zu ihrer Mutter nach Kenia. Dort bricht die Mutter ihr Schweigen über ihre eigene Beschneidung. Zu ihrer Zeit verlief eine Beschneidung noch gewaltsamer als zur Zeit ihrer Tochter.
Mit ihrem Film will sie nicht nur ihr eigenes Leid thematisieren, sondern auch andere Frauen dazu ermutigen, über ihre Beschneidung zu sprechen. Aus der Filmemacherin ist längst eine Aktivistin geworden. Auch nach "In Search" will sie weiter mit betroffenen Frauen arbeiten und über Genitalverstümmelungen informieren, um andere Frauen zum Widerstand zu ermutigen.
Mehr als 200 Millionen Frauen haben ihre Beschneidung überlebt
Beryl Magokos Traum wäre es jetzt, ihren Film in Kenia zu zeigen. Damit meint sie nicht Nairobi. Dort war "In Search" schon zu sehen. Sie denkt dabei besonders an das Dorf, in dem sie aufwuchs. An Orte also, in denen FGM bis heute noch praktiziert wird. Sie hat ihren Film übrigens ihrer Mutter gewidmet und den mehr als 200 Millionen Frauen, die eine Beschneidung erleiden mussten.