Sudan: Das Dilemma des Westens
26. April 2023Kämpfe, Tote und Verletzte, tausende Menschen auf der Flucht. Der Aufbruch des Sudan in Richtung Aussöhnung, Demokratie und Rechtsstaat ist vorerst gescheitert, Hoffnungen auf eine gedeihliche Zukunft des Landes haben sich bis auf Weiteres zerschlagen. Im Land herrscht Verbitterung - über die beiden sudanesischen Kriegsherren Abdel Fattah al-Burhan und Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti. Doch auch über die Rolle der westlichen Staaten sind nicht wenige Sudanesen enttäuscht.
Er wache trotz vereinbarten Waffenstillstands unter dem Gefechtslärm auf, schrieb der Aktivist Hamid Khalafalla kürzlich auf Twitter. Warum, fragte er in bitterer Ironie, sollten die sudanesischen Generäle das Schweigen der Waffen respektieren, wenn die USA sich ihnen gegenüber weiterhin so nachsichtig zeigten? Ihr Militärcoup vor 18 Monaten sei praktisch unbestraft geblieben, beklagt er.
Die westlichen Staaten würden sich nach dem jüngsten Gewaltausbruch zunehmend aus dem Land zurückziehen, argumentiert Khalafalla unter Bezug auf die Evakuierung westlicher Ausländer. Damit gehe auch ihr bisheriger Einfluss verloren.
"Konflikt hausgemacht"
Im Kern sei der Konflikt hausgemacht, sagt vor Ort hingegen Marina Peter, Gründerin und Chefin des Sudan- und Südsudan-Forum. Der Konflikt sei eine Folge von seit Jahrzehnten ungelösten Problemen: Ressourcenkonflikte - und ebenso der Machthunger einiger politischer und vor allem militärischer Akteure des Landes. Der sei von einer solchen Dynamik, dass er sich von außen nur schwer beeinflussen lasse.
Allerdings habe der Westen nach 2019 - in jenem Jahr wurde der damalige Machthaber Omar al-Baschir gestürzt - auch Fehler gemacht. "Und zwar insbesondere den Fehler, dass an den offiziellen Verhandlungen und Gesprächen weite Teile der Zivilgesellschaft nicht beteiligt wurden", sagt die deutsche Sudan-Expertin der DW. Stattdessen habe man zu sehr auf die Militärs gesetzt. "Dabei haben sudanesische Aktivisten und auch wir ausländischen Beobachter immer wieder gewarnt, dass man den Militärs und insbesondere Hemeti nicht trauen und dass es mit ihnen auch keine tragfähige Lösung geben kann."
Zu sehr auf alte Kräfte vertraut?
Das sieht auch der Demokratie-Aktivist Ahmed Esam von der Plattform "Sudan Uprising Germany" so. Er wolle den Westen zwar nicht für das Scheitern des Sudan verantwortlich machen, so der in Deutschland lebende Aktivist im DW-Gespräch. Und doch hätten westlichen Staaten auch einige Fehler gemacht. "Sie haben sich insofern problematisch verhalten, als dass sie die wesentlichen Kräfte hinter dem Widerstand auf den Straßen und deren direkte Forderung nach Reformen nicht anerkannten. Die Widerstandskomitees wurden ignoriert. Stattdessen haben die westlichen Staaten zu sehr auf die alten Kräfte gesetzt."
Dabei könnten die westlichen Staaten den beiden starken, nun einander bekämpfenden Männern des Landes allzu leichtfertig vertraut haben, deutet der Journalist Azza Ahmed Abdel Aziz im Nahost-Portal "Middle East Eye" an. "Beide Parteien haben ihre Versuche zur Machtsicherung in eine Sprache verpackt, die verdeutlichen sollte, dass sie im Dienst der Demokratie und des Übergangs zu einer vollständigen zivilen Regierung stehen", schreibt Abdel Aziz. Dabei seien sie es gewesen, die diese zivile Regierung kurz zuvor - nämlich durch den Putsch vom Oktober 2021 gegen Premier Abdalla Hamdok - selbst aus den Angeln gehoben hätten.
Tatsächlich lag es von diesem Moment an wohl auf der Hand, dass sowohl al-Burhan als auch Hemeti anderes im Sinn hatten, als den bereits weit gediehenen Reformprozess zu seinem Ende zu bringen. Ihnen ging es laut Abdel Aziz vor allem um eines: die Sicherung ihrer persönlichen Macht. Auch zu diesem Zweck pflegten die Kontrahenten enge Bindungen nach Moskau.
Russlands Einfluss im Sudan - da sind sich viele Experten einig - hat stark zugenommen und könnte sogar noch weiter steigen. Dabei geht es jedoch um wirtschaftliche und machtstrategische Interessen, nicht um Demokratieförderung. Auch vor diesem Hintergrund dürften sich westliche Politiker genau überlegt haben, wie weit sie es sich leisten können, sudanesische Militärs politisch unter Druck zu setzen, wenn andere, teilweise rivalisierende internationale Akteure bereits gute und enge Kontakte zu ihnen aufgebaut haben.
"In keiner Weise zivil geführt"
Auch das renommierte Magazin "Foreign Policy" kritisiert die westliche Sudan-Politik der vergangenen Jahre. Der offenbar direkt auf westliche Ohren zugeschnittenen Sprache der beiden Kommandeure habe die US-Regierung wohl zu sehr vertraut, heißt es in einer Analyse des außenpolitischen Fachblatts. So hätten die USA immer darauf beharrt, den Übergang im Sudan als "zivil geführt" zu bezeichnen - aus Sicht des Magazins war genau dies jedoch eine grobe Fehleinschätzung: "Der Übergang im Sudan war in keiner Weise zivil geführt."
Vielmehr habe der Westen im Sudan allzu lange ein fragwürdiges Modell der Machtteilung zwischen Zivilisten und Militärs favorisiert, meint Aktivist Ahmed Esam. "Der Westen sah das Militär als separate Einheit - und nicht als Institution, die letztlich allein durch die Gesellschaft legitimiert ist. Er tendierte dazu, das Militär zu einer politischen Partei zu machen. Das war ein Fehler."
Beschränkte Handlungsmöglichkeiten
Ihrer Meinung nach hätten die westlichen Staaten mögliche Sanktionen gegen die Generäle durchaus früher ins Spiel bringen können, sagt Marina Peter im DW-Interview. Der Westen habe zwar zwar versucht, Druck über die lange Zeit eingefrorene Entwicklungshilfe aufzubauen. "Aber dann kam Geld aus anderen Ländern, so dass dieser Versuch ins Leere lief." Zudem sei al-Baschirs Nachfolgern klar, dass die Handlungsmöglichkeiten des Westens beschränkt seien. "Denn die westlichen Staaten haben ja durchaus auch schon mit al-Baschir zusammengearbeitet - unter anderem auch aus Furcht vor weiterer Migration."
In den letzten Tagen haben die westlichen Staaten wieder mit den beiden Rivalen gesprochen, ja sprechen müssen. Denn ohne deren Zustimmung hätten sie ihre Bürger nicht aus dem Sudan bringen können. Ein klassisches Dilemma der Realpolitik: Auf schmerzhafte Weise müssen die westlichen Staaten erkennen, dass sie sich in ihren wichtigsten Gesprächspartnern getäuscht haben - und dennoch kommen sie gerade auch in der jetzigen Lage weiterhin nicht an ihnen vorbei.