Die grüne Lust an der Macht
14. November 2019Das war ein Termin so richtig nach dem Geschmack von Robert Habeck, dem redegewandten Parteichef der Grünen: Auch wenn sein Schul-Französisch auf einem eher schlechten Stand ist, wie er zugab. Anfang Oktober unterhielt sich Habeck in Paris mit Vertretern der Regierungspartei "La République en marche" von Präsident Emmanuel Macron.
Mit den Grünen und ihren traditionell europafreundlichen Ansichten können sie in Paris viel anfangen, so scheint es. Habeck wurde denn auch nicht müde, die derzeitige deutsche Regierung für ihren Europa-Kurs zu kritisieren: Zu wenig Schwung, zu wenig eigene Ideen, zu wenig Einsatz für mehr demokratische Reformen in der Gemeinschaft.
Stabil über 20 Prozent
Europa - das wird eines der zentralen Felder sein, auf denen sich die Grünen profilieren wollen. Sowohl in den Bereichen Klima- und Energiepolitik als auch bei einer gemeinsamen europäischen Außen- und Erweiterungspolitik. Im Moment spricht vieles dafür, dass die Grünen nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 tatsächlich auf Bundesebene mitregieren könnten.
Im aktuellen "Deutschlandtrend" des Forschungsinstituts infratest-dimap kommen die Grünen auf 22 Prozent. Schon seit vielen Monaten übertrifft die Umweltpartei regelmäßig die 20-Prozent-Marke, bei der Europawahl bestätigte die Partei diesen Trend mit 20,5 Prozent der Stimmen. Wahrscheinlichster Partner wäre dann wohl die konservative CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die allerdings nicht mehr als Regierungschefin antreten will.
Europa stärken, Rechtsextremismus bekämpfen, internationale Institutionen stärken: Das wollen die Grünen außenpolitisch erreichen. Habecks Kollegin an der Parteispitze, Annalena Baerbock, sagt dazu der DW: "Wir sehen, dass Europa derzeit außenpolitisch leider nicht wirklich gemeinsam gesprächsfähig ist."
Beitrittsperspektive offenhalten
So habe die EU jüngst Nord-Mazedonien und Albanien vor allem auf französischen Druck hin die eigentlich versprochenen Beitrittsgespräche verweigert, was allerdings auch die derzeitige deutsche Regierung kritisiert hatte. Baerbock: "Das war aus meiner Sicht sicherheitspolitisch wirklich fatal." Die EU habe etwa gegenüber der Türkei lange einen abweisenden Kurs gefahren, bis sich Ankara von Europa weg bewegt habe. Der gleiche Fehler dürfe sich bei den West-Balkan-Staaten nicht wiederholen.
Auch der Außenexperte der Bundestagsfraktion der Grünen, Omid Nouripour, setzt auf Europa. Im Gespräch mit der DW erklärte er: "Wir werden im Falle einer Regierungsbeteiligung erstens einen Vorrang setzen beim Thema europäische Einigkeit, damit Projekte, die sehr spalterisch sind, wie etwa Nordstream, nicht mehr unterstützt werden. Wir würden zweitens viel mehr Grips und Ressourcen aufbringen für die Frage von Konflikt-Verhütung und Prävention."
Ein drittes Merkmal ist die Kooperation jenseits der Regierungsebene. "Wir werden in allen internationalen Beziehungen einen Fokus auf die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der Zivilgesellschaften legen, und nicht nur von Regierung zu Regierung miteinander sprechen", sagt Nouripour. "In Zeiten, in denen Zivilgesellschaften unter Druck sind, ist das ein Muss."
Da deutet sich schon ein möglicher Reibungspunkt mit den Konservativen an. Die umstrittene Gaspipeline "Nordstream 2" aus Russland durch die Ostsee nach Deutschland hat die derzeitige Regierung aus CDU/CSU und SPD gemeinsam gegen jede Kritik aus Europa verteidigt. Mit ihrer Kritik daran eröffnen die Grünen den Konflikt erneut.
"Green New Deal" in Europa
Die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner setzt auch in der Außenpolitik auf das grüne Kernthema Klimaschutz: "Wir wollen der Klimakrise gemeinsam begegnen und eine Chance daraus für Europa machen, der Green New Deal ist dafür unser Fokus", erklärt sie.
Dafür hätten die Grünen Partner in drei europäischen Regierungen, unter anderem dem Land, das gerade die Ratspräsidentschaft innehat. Derzeit regieren die Grünen in Litauen, Luxemburg - und eben Finnland mit. Österreichs konservative Volkspartei ÖVP spricht gerade mit den Grünen des Landes über eine mögliche Koalition. Ein Beteiligung an der Macht in einem EU-Kernland wie Deutschland würde die gesamten grünen Europa-Perspektiven erheblich verstärken.
Grüne deutsche Minister: Das gab es schon einmal, von 1998 bis 2005. Anfangs mussten die Grünen, gewählt von nicht einmal zehn Prozent der Wähler, an der Seite der Sozialdemokraten viele Kröten schlucken. So stimmte der grüne Außenminister Joschka Fischer für den ersten deutschen Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich deutsche Truppen am Einsatz der NATO im Kosovo-Krieg beteiligten - ohne ein UN-Mandat. Das riss die traditionell eher pazifistische grüne Partei fast auseinander. Fischer wurde auf einem Parteitag in Bielefeld von einem Partei-Rivalen mit einem Farbbeutel beworfen, sein Trommelfell platzte.
Zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gibt es bei den Grünen auch heute kein einheitliches Bild, es gibt Befürworter und Gegner. Das als Regierungspartei durchzuhalten, ist eher schwierig. Andererseits ist die Partei inzwischen weitaus pragmatischer und kompromissbereiter auch konservativen Positionen gegenüber, als in den Jahren 1998 bis 2005.
Noch haben die Grünen genügend Zeit, um sich auf eine mögliche Regierungsbeteiligung einzustellen. Am Wochenende treffen sie sich zu ihrem Parteitag: Wieder in Bielefeld, wie damals, im turbulenten Jahr 1999.