Der Kampf der Guerrilla Girls
8. März 2017"Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt." Dieser Satz ist nicht nur sexistisch durch und durch, sondern erscheint erstmal auch ziemlich veraltet, aus einer Zeit, in der Frauen nicht wählen und kein Konto haben durften - allein aufgrund ihres Geschlechts. Aber: Tatsächlich stammt er aus dem Jahr 2013 von einem der berühmtesten und teuersten Maler der Welt: Georg Baselitz. Selbst die 1984 in den USA gegründete Aktivistinnengruppe "Guerrilla Girls", die sich den Kampf gegen Benachteiligung von Frauen in der Kunstwelt auf die Fahnen geschrieben hat, glaubte, bei allen bestehenden Ungerechtigkeiten, zumindest diesen Humbug aus der Welt geräumt.
Mit einer anderen Bemerkung, die Baselitz im gleichen Interview mit dem deutschen Wochenmagazin "Spiegel" machte, dürften die Guerrilla Gils aber sehr wohl übereinstimmen: "Frauen bestehen nun mal die Prüfung des Marktes nicht". Ja, das stellen auch die Guerrilla Girls immer wieder fest, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie nicht, wie Baselitz, die Frauen selbst dafür verantwortlich machen, sondern die gewachsenen Strukturen. Genauer: das Verhältnis und Zusammenspiel von Sammlern, Mäzenen, Auktionshäusern, Museen und Galerien.
Ein internationaler Überblick fast ohne Frauen
Auf den Plan gerufen hat die Guerrilla Girls die Ausstellung "An international Survey of Painting and Sculpture" ("Eine internationale Studie über Malerei und Bildhauerei") des New Yorker Museum of Modern Art im Jahr 1984. Die Ausstellung erhob den Anspruch, die weltweit wichtigsten zeitgenössischen Werke der Welt zu zeigen. Doch unter den 169 Künstlern befanden sich gerade mal 13 Frauen. Dazu waren alle Künstler weiß und kamen aus den USA oder Europa. Konnte das eine repräsentative Zusammenschau zeitgenössischer Kunst sein? Kurator Kynaston McShine sah das so und meinte sogar, diejenigen Künstler, die nicht in der Ausstellung vertreten seien, sollten ihre Karriere überdenken. Draußen, vor dem Museum, formierten sich Proteste - und eine neue Gruppe von Aktivistinnen: die Guerrilla Girls, "das Gewissen der Kunstwelt", als das sie sich selbst bezeichnen.
Die Guerrilla Girls begannen also, erstmals nachzuzählen. Sie wollten genau wissen, wie viele Einzelausstellungen von Frauen es in den großen Museen der USA gab, wie viele Künstlerinnen in den Galerien hingen und wie sie bezahlt wurden. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Aus ihnen machten sie Poster, Aufkleber und Flugzettel und riefen so als erste die gravierende Ungleichbehandlung von Künstlerinnen sowie farbigen Künstlern ins Bewusstsein der Gesellschaft.
Aus Guerrilla wurde Gorilla
Zugute kommt den Aktivistinnen, dass sie wahre Insider der Kunstszene sind. Denn sie alle sind entweder selbst Künstlerinnen oder anderweitig in der Branche tätig. Sogar heute sehr berühmte Künstlerinnen haben schon bei ihnen mitgemacht, verrieten sie der feministischen Zeitschrift "EMMA" vergangenes Jahr.
Doch gerade deshalb und um dennoch frei agieren zu können und alle Aufmerksamkeit auf ihre Inhalte gerichtet zu wissen, wollen sie anonym bleiben. Dass sie ihre Identität allerdings ausgerechnet unter Gorillamasken verstecken, war eher Zufall: "Es muss uns wohl ein Mitglied falsch verstanden haben, als wir es darum baten, uns Verkleidungen im Guerrilla-Stil zu besorgen. Denn zurück kam es mit Gorillamasken. Aber letztlich war das gar nicht so schlecht, wir haben sie seitdem nicht mehr ausgezogen." Abgesehen von den felligen Masken, verbirgt sich außerdem jedes Guerrilla Girl der Anonymität wegen hinter dem Namen einer berühmten Künstlerin. Die Gründerinnen der Guerrilla Girls heißen daher Käthe Kollwitz und Frida Kahlo.
In den mehr als 30 Jahren ihres Bestehens zählte die Gruppe um die 50 Mitglieder. Einige blieben Jahrzehnte, manche wenige Jahre, andere nur ein paar Wochen. Wer bei den Guerrilla Girls mitmachen will, muss von ihnen dazu aufgefordert werden. Sie wollen die Mitgliederzahl klein halten, weil sie ansonsten nicht in der Art und Weise agieren können, erklären sie im Interview mit der DW.
Humor als Waffe
Besonderes Kennzeichen der Aktionskunst von Käthe Kollwitz, Frida Kahlo und Co. ist ihre humoristische Herangehensweise, mit der sie ihr Publikum zu erreichen versuchen. "Wenn du es schaffst, jemanden über eine komplexe Sachen zum Lachen zu bringen, hast du Zugang zu seinem Gehirn. (…) Dann haben wir die Möglichkeit, das Denken zu verändern", erklärte 2007 eine der Aktivistinnen. Deutlich wird das zum Beispiel an ihrem Plakat von 1985, das fragt, ob Frauen etwa nackt sein müssten, um ins Met-Museum zu kommen, aber genauso an ihren späteren Arbeiten, wie "Free the women artists of Europe" für die Biennale 2005 in Venedig, mit der die Guerrilla Girls kritisierten, dass die venezianischen Museen die Kunst von Frauen vor allem in ihren Kellern lagerten und nicht an ihren Wänden hängen hatten.
Zwar liegt der Fokus der Guerrilla Girls vor allem auf der Kunstszene der USA, doch führten die Aktivistinnen erst jüngst auch eine große Befragung zur Diversität in europäischen Museen mit knapp 400 Häusern durch. In der Whitechapel Gallery in London konnten sich die Besucher die Ergebnisse bis vor wenigen Tagen kostenlos ansehen. Bezeichnend: Nur rund 100 Häuser hatten die 14 Fragen der Guerrilla Girls beantwortet. Einige der Ergebnisse und ihre humorvolle Aufbereitung sind auch auf der Homepage der Guerrilla Girls einsehbar.
Ein von weißen Männern dominiertes System
Natürlich stellt sich die Frage: Wer ist schuld an der Benachteiligung von Frauen in der Welt der Kunst? Fragt man die Guerrilla Girls, so sind es vor allem reiche, weiße Männer. "Museen sind immer stärker auf Geld- und Werkspenden superreicher Sammler angewiesen - und diese Sammler sind in der Regel weiße Männer, die überwiegend Kunst von weißen Männern sammeln." Museen erzählen folglich nicht mehr die Geschichte von Kunst, sondern die von Reichtum und Macht, schlussfolgern die Aktivistinnen.
Inzwischen ist das nicht mehr nur in den USA der Fall, wo die Kulturförderung seit jeher eine private Angelegenheit ist, sondern ebenfalls in Deutschland. Auch hier sind Sammler - meist männliche, wohlsituierte Firmeninhaber - in den vergangenen Jahren immer wichtiger für Museen geworden. "Museen sammeln heute oft Sammler. Ohne sie wären teils gar keine Ankäufe für die Sammlungen mehr möglich", sagt Bernhard Graf, Leiter des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin.
Sind mehr Frauen an den Hebeln demnach die Lösung? Nicht unbedingt. 2013 stellte das deutsche art-Magazin fest, dass weibliche Sammler nicht automatisch mehr Kunst weiblicher Künstler sammeln und dass von Frauen geführte Top-Galerien im Schnitt dennoch dreimal mehr Männer als Frauen vertreten.
Eine der zentralen Stellschrauben ist da vielmehr die Kunstgeschichtsschreibung, erklärt Kerstin Brandes, die das Institut für Kunst und visuelle Kultur der Uni Oldenburg leitet. "Bisher hatten wir einen Meisterdiskurs, der von einem Künstler als einem schöpferischen Genie ausging. Und dieser geniale Künstler ist immer schon männlich gedacht. Die Frau ist Muse, das Modell. Für große Künstler war der weibliche Akt immer ein Muss-Sujet." Es müsse folglich schon an den Universitäten angesetzt werden, die die künftigen Museumsdirektoren und -direktorinnen ausbilden, um die Sicht auf weibliche Künstler nachhaltig zu ändern.
Hoffnung auf Besserung?
Als die Guerrilla Girls 1985 die Einzelausstellungen weiblicher Künstler in New York zählten, kamen sie auf gerade mal eine. 30 Jahre später zählen sie erneut und kamen auf fünf. Klar, es sind mehr geworden, aber Freudensprünge lassen solche Ergebnisse noch nicht zu - geschweige denn kann davon die Rede sein, dass Künstlerinnen heute das gleiche Ansehen wie Künstler genießen. Trotzdem sagen die Guerrilla Girls: "Als wir anfingen, wollte niemand zugeben, dass er Frauen oder nicht weiße Künstler diskriminierte. Heute setzen viele Museen stärker auf Inklusion. Aber es bleibt schwer, dieses große Schiff zu wenden." Bis das gelungen ist, werden die Guerrilla Girls weiterhin den Finger in die Wunde legen.