Die Infektion "Noma" zerstört Gesicht und Psyche
30. Januar 2024Die Infektionskrankheit "Noma" beginnt meist mit einer Zahnfleischentzündung. Dann aber breitet sie sich schnell im ganzen Gesicht aus. Lippen und Gesichtsmuskulatur sind ebenso betroffen wie Kiefer, Wangen oder Nase. Meist werden Teile des Gesichts innerhalb weniger Tage zerstört. Ansteckend ist die Krankheit nicht, dennoch erkranken in Afrika jährlich weit mehr als Tausende von Menschen daran.
Die 18-jährige Amina beschreibt, was sie empfunden hat, als sie die Krankheit an sich bemerkte. "Damals war ich sehr erschöpft, so als hätte ich Fieber. Dann schwollen meine beiden Ohren an. Als ich meine Hand auf mein Gesicht legte, fühlte ich, dass eine Stelle weich war. Ich lag alleine da und musste weinen. Ich berührte meine Wangen und spürte, dass sich dort ein Loch gebildet hatte."
Aminas Erzählung ist Teil des Dokumentarfilms "Restoring Dignity" (Die Wiederherstellung der Würde), den die medizinische Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" zusammen mit französischen Filmschaffenden produziert hat.
Es braucht intensive Forschung
Die Krankheit, die auch als "Gesichtsbrand" bekannt ist, wird durch verschiedene Bakterien verursacht. Diese sind meist natürlicher Bestandteil der Mundflora. Forschende gehen davon aus, dass Mangelernährung und schlechte Mundhygiene das Immunsystem schwächen und sich die Bakterien so leichter einnisten können.
Auch Vorerkrankungen wie Masern oder Malaria zählen zu den Risikofaktoren, denn auch sie beeinflussen das Immunsystem. Welches aber letztendlich die Auslöser sind, wie "Noma" genau entsteht und sich entwickelt, ist noch nicht erforscht.
Mittlerweile gibt es aber immerhin einen kleinen Erfolg im Kampf gegen die grausame Krankheit: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat "Noma" Ende Dezember letzten Jahres auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten gesetzt. So soll sie mehr Aufmerksamkeit bekommen und auch finanzielle Mittel, die in die Forschung gesteckt werden können - in Diagnostik, Therapie und in die Prävention.
"Noma" gibt es vor allem in armen Ländern
Verbreitet ist "Noma" vorwiegend in Afrika. Dabei ist Nigeria am schlimmsten betroffen. Die Krankheit tritt überwiegend bei Kindern auf, die jünger als sieben Jahre alt sind. Etwa 140.000 Kinder sind es jedes Jahr. Rund 90 Prozent sterben in den ersten zwei Wochen, sofern sie nicht mit Antibiotika behandelt werden. Das ist die einzige Möglichkeit, die Zerstörung aufzuhalten. Oft aber ist es schon zu spät und bei Überlebenden bleiben Wunden und Entstellungen, beispielsweise an Mund und Nase. Das Sprechen, Essen und sogar das Atmen werden zur Qual.
Die Krankheit fördert Diskriminierung und Ausgrenzung
Da die Krankheit das Gesicht entstellt, können sich Betroffene kaum verstecken. Aus Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung trauen sich Kinder nicht mehr in die Schule. Oft sind es aber auch die Eltern, die sie aus Scham von der Öffentlichkeit fernhalten und sie verstecken. Soziale Kontakte gibt es dann so gut wie keine mehr.
Im "Noma"-Krankenhaus im nigerianischen Sokoto sei das anders, erzählt die deutsche Krankenschwester Fabia Casti im Podcast "Notaufnahme", den die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" regelmäßig produziert. "Die Kinder können rausgehen, sie spielen mit anderen Kindern, sie lachen", sagt Casti, "und man merkt manchmal gar nicht, dass diese Kinder "Noma" haben und überlebt haben." Casti hat neun Monate lang "Noma"-Patientinnen und -patienten betreut. Diese Arbeit im "Noma"-Krankenhaus habe sie tief bewegt.
Rekonstruktive Operationen können Leid lindern
Zwischen vier und sechs Wochen dauert die Erstbehandlung im Krankenhaus. Danach müssen Betroffene meist ein bis zwei Jahre warten, bis sie auf die Operationsliste gesetzt werden können, um schlimme Deformierungen zu korrigieren.
"Drei- bis viermal im Jahr finden Operationen statt. Dazu kommt ein Team von internationalen Chirurgen und Anästhesisten zusammen. Bei unserer letzten Operationsphase hatten wir rund 40 Patienten in einem Zeitraum von zwei Wochen", erzählt Casti.
Viele von ihnen haben Probleme zu essen, zu trinken oder zu sprechen, weil die Krankheit große Teile des Gesichts zerstört hat. Erfahrene Operateure versuchen, möglichst große Bereiche des Gesichts wiederherzustellen. Solche rekonstruktiven Operationen sind aufwändig, denn es geht auch darum, das Gesicht ästhetisch so gut wie möglich wiederherzustellen, damit Betroffene wieder mit anderen in Kontakt kommen und aktiv am alltäglichen Leben teilnehmen können. Die psychischen Schäden und die Narben auf der Seele aber bleiben.