Die "Junge Alternative" sucht ihre Identität
3. Juni 2018Die Veranstalter der "Jungen Alternative" (JA), der Jugendorganisation der "Alternative für Deutschland" (AfD), haben sich einen ur-deutschen Veranstaltungsort ausgesucht. Der Bundeskongress findet im Bundesland Thüringen in der Nähe der Stadt Eisenach statt. Eine Stadt, die einen deutsch-nationalen Geist atmet, wie kaum eine andere Stadt Deutschlands. Über den dicht bewaldeten Hügeln des Thüringer Waldes thront die Wartburg. Die berühmte Burg, die 1817 Stätte des Wartburgfests war und seither ein Pilgerort für patriotisch-gesinnte Studenten ist, die sich an die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts erinnern.
Der Bundesvorstand der JA trifft sich einen Abend vor dem Kongress in einem Brauhaus inmitten der mit Fachhäusern gespickten Altstadt Eisenachs. Es herrscht eine feucht-fröhliche Brauhaus-Atmosphäre. Die überwiegend männlichen JAler prosten sich große Krüge zu. Patriotische Lieder werden angestimmt. Der Kleidungsstil wirkt bei manchen altmodisch - bei Studentenverbindungen beliebte Segelschuhe sind zu sehen oder Lederhosen und Dirndl, bayerische Trachtenmode. Bei den Frisuren überwiegen strenge Scheitel oder Undercuts.
Unter die Folkloristen haben sich aber auch karriere-bewusste Anzugträger gemischt. Sie sitzen "zu Tische", pflegen einen vornehmen Diskurs über Politik und Gesellschaft. Ihr Auftreten ist seriös, ihre Wortwahl eloquent. Der Kölner Luca Leitterstorf ist einer von der Karrieristen-Fraktion. Er ist 21 Jahre jung, wählt seine Worte bedächtig, um sie dann druckreif auszuformulieren. Anders als viele glaubten, sei die JA "eine höchst diverse Gruppierung". "Wir haben viele hier, die vorher bei der SPD, CDU oder FDP waren, dann aber die politische Heimat wechselten."
Leitterstorf war selber bei der Jungen Union, wurde aber enttäuscht, denn die CDU sei ihm vor allem bei der Flüchtlingspolitik zu sehr in die Mitte gerückt. Bei Gesprächen mit vielen anderen Teilnehmern am Rande der Veranstaltung bestätigt sich Leitterstorfs Aussage.
Empörungswelle nach "Vogelschiss"-Rede
Die ausgelassene Atmosphäre vom Vorabend zieht sich auch durch den Bundeskongress. In dem Saal, in der eine "Hundertschaft" Platz nimmt, sind an jeder freien Stelle Deutschland-Flaggen angebracht. Ein Wahlplakat in national-sozialistisch angehauchter Ästhetik titelt: "Deutschland braucht dich!" Die Stimmung ist ausgelassen, Anträge werden leidenschaftlich debattiert. Die Redner brüllen sich an - die Positionen sind oft grundverschieden. Die Zuhörer rufen wild dazwischen, mit "Jawohl"-Rufen oder Jubel werden die Vorschläge entweder goutiert oder mit höhnischem Gelächter geächtet. Der Schlagabtausch ist intensiv, einige Male kommt es beinahe zu Handgreiflichkeiten.
Die Stimmung ist besonders ausgelassen, als die AfD-Führungsleute Bernd Höcke, Andreas Kalbitz, Jörg Meuthen und dann auch Alexander Gauland reden. Der 77 Jahre alte Partei- und Bundestagsfraktionschef Gauland spricht davon, dass "Hitler und die Nationalsozialisten ein Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" seien.
Seine "Vogelschiss"-Rede löst deutschlandweit und international eine Welle der Empörung aus. Nicht alle JAler finden gut, was Gauland gesagt hat. Sie sehen seine Wortwahl als unangemessene Provokation an. Auch aus der AfD-Bundestagsfraktion kommt Kritik.
Andere unter den JAlern stimmen Gauland inhaltlich zu.
EU abschaffen
Am zweiten Tag steht im Saal dann wieder die Programmarbeit im Mittelpunkt. Draußen aber macht die Gauland-Rede noch immer Schlagzeilen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich scharf: "Wer heute diesen einzigartigen Bruch mit der Zivilisation leugnet, klein redet oder relativiert, verhöhnt nicht nur die Opfer, sondern will alte Wunden wieder aufreißen und sät neuen Hass."
Im Internet finden sich dutzende Verweise über Verbindungen von JA-Mitgliedern zu Gruppierungen, die noch weiter rechts als die JA stehen. Zum Beispiel zu den "Identitären", die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Radikal zu sein scheint hier im Saal zum guten Ton zu gehören. Der Drang, krasse Positionen zu vertreten, ist Usus. "Die Europäische Union muss sterben, damit Europa leben kann", brüllt der JA-Vorsitzende Damian Lohr bei seiner Eröffnungsrede in Mikrophon. Die radikale Position hat sich durchgesetzt: Die Forderung nach Auflösung der EU steht nun auch im beschlossenen Grundsatzprogramm. Das ärgert die "Alten" in der AfD ein wenig.
Das gehe dann doch zu weit, sagt AfD-Co-Chef Jörg Meuthen im DW-Interview. Denn die EU könne man reformieren. Er habe aber Verständnis für diese Forderung, schließlich müsse eine Jugendorganisation schon aus ihrem Selbstverständnis radikal sein. Bei allem Verständnis für Radikalität gebe es aber auch klare Grenzen: "Wenn jemand aktuell mit den Identitären zusammenarbeitet, hat er bei uns nichts zu suchen", sagt Meuthen. Über vergangene Jugendsünden aber könne er hinwegsehen.
Die "Radikalitäts-Trennlinie" zeigte sich auch bei der Rede des AfD-Vordenkers Höcke. "Verfassungspatriotismus springt zu kurz, wir brauchen eine neue Identität", ruft Höcke unter tosendem Applaus. Hier offenbart sich der revolutionäre Gedanke, über das Grundgesetz hinausgehen zu wollen. Auch an dieser Stelle nimmt Luca Leitterstorf eine eher gemäßigte Position ein. "Wir wollen das Land verändern, unsere Ideen mehrheitsfähig machen und in die Wirklichkeit umsetzen", sagt Leitterstorf im DW-Interview.
Die Gemäßigten in der JA schielen - wie in der AfD auch - auf den Horizont, mitregieren zu wollen - und nicht in der Fundamentalopposition stecken zu bleiben.
Zentrales Thema: Patriotismus
Die Radikalität der "Jungen" richtet sich besonders gerne gegen den gemeinsamen Feind: Sie verachten das "links-grüne Establishment", wie sie sagen, das in alle Lebensbereiche eingreife. Dagegen wollen sie sich wehren. Außerdem teilen sie alle eine patriotische Grundhaltung.
Nur gibt es viele verschiedenen Ideen davon, was "guter Patriotismus" sei, erklärt Leitterstorf: "Alle können sich auf einen Kultur-Patriotismus einigen." Nur gebe es besonders in Ostdeutschland einige, die eine übertrieben nationalistische bis hin zu einer völkischen Haltung an den Tag legen. Dahinter steckt die von den Neuen Rechten vertretene Idee von einer deutschen Volksgemeinschaft, die genetisch begründet ist. Daraus leitet sich die Frage ab, wer Deutscher sein kann? Auch "assimilierte Migranten", wie sie hier sagen, oder ausschließlich "Bio"-Deutsche?
Genau diese Trennlinie macht sich dann dann bei einem Beschluss zu den Israel-Beziehungen bemerkbar. Israel werde zukünftig nicht mehr als "einzig verlässlicher Partner im Nahen Osten" gesehen. Vor dem Saal kommt es zu einer lauten Auseinandersetzung zwischen JAlern. Einige - darunter Leitterstorf - empört dieser Antrag. Einer seiner Kumpel klärt auf. Dahinter stecke Judenfeindlichkeit, die sich auf den Nationalsozialismus beziehe. So wolle man die JA nicht verstanden wissen. Gleiches gelte für einen weiteren Beschluss, ergänzt ein anderer. "Gestern wurde dafür gestimmt, dass das 'Deutschland-Lied' an Schulen gesungen werden soll, das ist vollkommen unangemessen." In Deutschland gilt das Singen der ersten Strophe des Liedes als Ausdruck einer nationalistischen Einstellung und findet eigentlich nicht statt. Die dritte Strophe ist die deutsche Nationalhymne.
Revolution - ja oder nein?
Aber welcher Flügel ist nun der stärkere - der nationalistische oder der liberale Flügel? Leitterstorf meint, dass vor allem in Ostdeutschland der nationalistische Flügel der stärkere sei. Er ist sich jedoch sicher, dass sich die Gemäßigten auch deutschlandweit durchsetzen werden.
Die Abstimmungsergebnisse boten kein einheitliches Bild. Manchmal konnte sich der radikale Flügel durchsetzen. Bei anderen Anträgen - wie dem für ein radikales Abtreibungsverbot - gewannen die Liberalen. Ein einheitliches Bild bietet die JA auch an anderen Stellen wie der Sozialpolitik nicht. Hier reicht das Meinungsspektrum von libertären bis zu sozialistischen Ideen.
Ende des Monats wird sich die AfD zum nächsten Bundesparteitag treffen. Delegierte der "Jungen Alternative" werden auch wieder dabei sein. Die Verflechtungen zwischen AfD und JA sind eng. Ein Viertel der Führungsmannschaft in Bund und Ländern ist Mitglied eines Parlaments oder arbeitet für Abgeordnete. Sie werden die Mutterpartei weiter antreiben wollen getreu ihrer Maxime: Deutschland zuerst.