Kanzlerin, Kandidaten, Klima und Kirchen
15. Mai 2021"Wir spüren noch mal mehr als sonst, wie wichtig das Gespräch ist." Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt es gleich zu Beginn ihres Auftritts beim 3. Ökumenischen Kirchentag. Die Veranstaltung ist in Frankfurt am Main angesiedelt, aber tatsächlich läuft sie allein im Netz. So redet auch Merkel digital. Sie nennt die Corona-Pandemie, die Digitalisierung, den Klimawandel. Die Merkel-Themen. "Das sind wirklich dicke Bretter, die gebohrt werden müssen", meint sie. Und an diesem Tag geht es bei ihr um den Klimawandel.
Im November 2005 wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Im Laufe der Zeit wurde sie die wohl treueste Teilnehmerin aus der Spitzenpolitik kirchlicher Großtreffen in Deutschland. Jahr für Jahr war sie dabei. Vom 25. Mai 2006, als sie für zwei Stunden zum Katholikentag nach Saarbrücken kam, bis zu diesem 15. Mai 2021, dem digitalen Treffen in Frankfurt. Nur 2016, beim 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig, musste sie passen. Da weilte sie bei einem G7-Gipfel im fernen Japan.
Und wer auch immer ihr nachfolgen wird nach der Bundestagswahl Ende September, ist später an diesem digitalen Kirchentags-Samstag mit dabei: Die grüne Kanzlerkandidatin und die Kandidaten von Union und SPD reden in Frankfurt brav mit. Für mehr fehlt die typische Stimmung vollbesetzter Kirchentagshallen.
Den Atomausstieg fand Merkel einst "lächerlich"
Aber die 15 Teilnahmen sagen etwas über Merkel, über ihre, nun ja, scheue Nähe zu solchen Großveranstaltungen, auch über die bisherige Stärke dieser Christentreffen. Immer gab es vor dem Auftritt der Kanzlerin Erwartungen und hinterher Ovationen, stets äußerte sich auch Widerspruch auf Plakaten oder in Zwischenrufen. Aber bei jedem Treffen schienen sich alle Beteiligte wohl zu fühlen. Meist begann die Kanzlerin mit "Ich freue mich hier zu sein…"
Schon 2007 titelte die "Zeit" pointiert: "Kirchentag: Angela Merkel Superstar". Da saß die Kanzlerin gleich nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesh auf dem Podium. Ein Jahr später lauteten die Überschriften vieler Zeitungen nach der Kanzlerinnen-Visite beim Katholikentag in Osnabrück übrigens: "Merkel: Atomausstieg ist lächerlich". Es kam anders, wie man weiß.
Zehn Jahre nach dem deutschen Atomausstieg sitzt Merkel nun allein vor einer deutschen und einer europäischen Fahne im Kanzleramt. Ein Video-Gespräch. Wer weiß, wie viele hundert Statements oder Gespräche sie mittlerweile schon so geführt hat. Und auf einem der anderen Bildschirme schaut Luisa Neubauer, das prominenteste deutsche Gesicht von "Fridays for future". Vier weitere Beteiligte gibt es.
Neubauer will ein "Ende der leeren Worte"
Lange plätschert das Gespräch so dahin. Aber irgendwann wirft die 25-Jährige der von der 66-jährigen Merkel geführten Bundesregierung "Vertrauensbetrug" vor. Es brauche "ein Ende der leeren Worte". Merkel sieht man da gerade nicht im Bild, aber man hätte sie da schon gern gesehen. Jedenfalls redet sie danach etwas freier und spontaner. Und betont: "Wir müssen mehr tun, aber wir fangen nicht bei Null an." Dann erklärt sie der Jüngeren mal schnell Grundzüge von Politik und ihrer Politik, wie wichtig es sei, auf europäischer Linie eine gemeinsame Linie zu finden. Und bekräftigt, ganz nebenbei, ihr Festhalten am Terminplan zum deutschen Kohleausstieg - es brauche "Verlässlichkeit". Beide sind im Stoff, beide kennen die Wissenschaft, beide können schnell sprechen.
Man spürt nicht, ob Merkel genervt ist, ob ihr vielleicht auch die klare Linie der jungen Aktivistin gefällt. Aber tatsächlich – zum Ende würdigt Merkel ungewöhnlich deutlich den Druck der jungen Klimaschutz-Akteure und -Akteurinnen in Deutschland. "Es wird notwendig sein, dass wir hier Treiber brauchen", sagt sie. "Deshalb erfüllt Fridays-for-Future hier eine ganz wichtige Aufgabe." Kein Applaus, keine Ovationen. Digital wird eben nie analog.
Baerbock wirbt um Bündnispartner
Zur gleichen Zeit läuft, quasi digital nebenan in der nächsten leeren Halle, ein Gespräch mit Annalena Baerbock, der grünen Spitzenfrau, die nun auch die erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei ist. Noch so eine Schnellsprecherin. Merkel, bei der fünf andere mitsprachen und gelegentlich Musik unterbrach, kam fünf Mal in gut 70 Minuten zu Wort, Baerbock, eine von vieren im Gespräch, zehn Mal in exakt einer Stunde.
Zum ersten Mal überhaupt ist die 40-Jährige Grüne bei einem kirchlichen Großtreffen zu Gast. 2019 in Dortmund stand sie im Programm, wurde dann aber von einem gewissen Robert Habeck vertreten. Sie kommt vom Großthema Klimaschutz auf die Gedanken der Schöpfung, der Religionen und Kirchen so wichtig sei, "seit Jahrhunderten". Aber Baerbock weiß auch bei ihrem ersten Auftritt, dass man hier jenseits aller parteipolitischen Bindungen um Bündnispartner beim Kampf für den Klimaschutz werben kann. "Es braucht Gewerkschaften, es braucht Kirchen, es braucht Unternehmen", sagt sie.Später treten auch die Kanzlerkandidaten von Union und SPD, Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz, digital an. Beide äußern sich offiziell zum Themenfeld Finanzen und Wirtschaft. Und immerhin live.
Laschet und Scholz wollen Solidarität
Aber auch Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, blickt auf das Urteil aus Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht habe "uns" – offen bleibt, ob Laschet da die Deutschen, die Politik, oder seine Partei meint - "ins Stammbuch geschrieben, dass wir nicht nur im Jetzt leben können". Beim Klimaschutz komme es zudem auf internationale Zusammenarbeit an. Und der CDU-Chef drängt auf stärkere "Solidarität in der Einen Welt" auch im Kampf gegen die Corona-Pandemie.
Scholz kommt bei einem akademisch geprägten Podium nur zu wenigen Beiträgen. Und er bleibt bei Kernpunkten, die für ihn auch den Wahlkampf prägen werden: die Bewältigung der Corona-Krise dürfe nicht zu Lasten ärmerer Schichten gehen, es brauche mehr soziale Gerechtigkeit. So plädiert Scholz für höhere Mindestlohn von zwölf Euro und mehr Tarifabsicherung im Altenpflegebereich. Beide Forderungen gehören zum Wahlprogramm, das die SPD - anders als die CDU - bereits verabschiedet hat. Und so klingt das dann: "Wir müssen Schluss machen mit der Nonchalance, mit der wir uns angewöhnt haben, schlechte Arbeitsbedingungen in Deutschland zu akzeptieren."