Franziskus ermutigt, Marx drängt
7. Oktober 2014Papst Franziskus geht in diesen Tagen zu Fuß zur Arbeit. Seine Tage sind lang, Beratungen noch am Samstag - gewiss beanspruchend, da können ein paar Schritte mit der Aktentasche in der Hand nicht schaden. Samt Schwätzchen mit einem verdutzten Schweizergardisten.
Vom Weg ist viel die Rede, wenn die Außerordentliche Bischofssynode im Vatikan das Thema "Ehe und Familie" behandelt und dabei über Sexualität spricht. Für Franziskus ist es ein kurzer Gang von seinem Apartment im Gästehaus Santa Martha zur Synodenaula und zu einem offenen Gespräch. Viele der Synodalen - es sind im Grunde die leitenden Angestellten in den nationalen Filialen der katholischen Kirche - mussten nicht nur physisch weite Anreisen zurücklegen. Der ein oder andere mag sich in eine ganz andere Zeit versetzt fühlen. Franziskus selbst, meint ein Bischof in Rom im Gespräch, mache den Synodenvätern die Orientierung wohl schwer, durch die ein oder andere Uneindeutigkeit im Vorfeld, die betonte Nicht-Festlegung.
Papst will Diskussionen "ohne Rücksichten, ohne Zögern"
Mag sein, dass Franziskus als Erzbischof und Kardinal zu viele römische Treffen und Beratungen miterlebt hat, bei denen die Linie des obersten Chefs klar war und die Führungskräfte mit lautem "Hurra" ohne eigenes Denken, eigenes Standing, betont rasch folgten. Der Weg war ja klar. Wiederholt bittet, ja drängt Franziskus nun um offene, ehrliche Worte. "Keiner soll sagen: 'Das kann man ja nicht sagen, sonst könnte ja jemand von mir so oder so denken.' Alles muss angesprochen werden, was jemand sich zu sagen gedrängt fühlt", mahnte er am Montag.
Der Münchener Kardinal Reinhard Marx, als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz einer der 191 Synodenväter, fühlt sich spürbar ermutigt. Als einer der ersten meldete er sich zu Wort. Die Schwierigkeiten, die es heute beim Thema Ehe und Familie für die katholische Kirche gebe, lägen nicht allein im praktischen seelsorgerischen Bereich, sondern auch in der Lehre. Und die Kirche könne ihre Lehre nicht einfach ändern, "aber sie entwickelt sich". Wie oft in der Kirchengeschichte. Und er habe, sagte er am Montagabend vor Journalisten, in der Synodenaula "betont, dass dies ein öffentlicher Weg ist". Nichts für Kungelrunden der Kurie oder der Bischofskonferenzen, sondern für breite, auch gesellschaftliche Debatten.
"Früher war nicht alles besser"
Die Kirche könne doch homosexuelle Beziehungen, in denen über Jahrzehnte Bindung und Zusammenhalt gelebt werde, nicht so behandeln, als wäre da nichts, erklärte Marx. Sie dürfe wiederverheirateten Geschiedenen ("nicht nur ein europäisches Thema, im Gegenteil") nicht jede Möglichkeit einer Versöhnung mit Gott, beispielsweise bei einem Beichtgespräch, verweigern. Und Kirche solle doch nicht so tun, als sei beim Thema Familie früher alles besser und eine "ideale Realität" gewesen. Sicher, solche Sprüche gebe es. Sie seien aber ein "bisschen Reconquista-mäßig, das ist eine falsche, eine ungeschichtliche Sicht". Die Mehrheit der deutschen Bischöfe hat eine ähnliche Einstellung. Einer der Kardinäle, erzählt Marx, habe in großer Runde dafür geworben, man müsse vielmehr "auch das Positive an Sexualität sehen".
Der Budapester Kardinal Peter Erdö war das gewiss nicht. Der 62-Jährige gehört zum konservativeren Lager, 2013 galt er nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. als papabile. Am Montag warb er in der Synodenaula und bei einem Pressegespräch dafür, "das Glaubenserbe in seiner Reinheit zu bewahren" und nicht auf Lehrfragen, sondern auf praktische Fragen der Seelsorge zu schauen. Radio Vatikan bilanzierte nach dem Erdö-Beitrag vor den Synodalen: "Das ist eine Aufforderung zum Eiertanz."
Verhaltenes Lateinamerika
Im Gegensatz zur katholischen Kirche in Deutschland und einigen anderen westeuropäischen Ländern hat bis jetzt wohl keine der rund 20 Bischofskonferenzen Lateinamerikas die Ergebnisse einer Umfrage unter Katholiken zum Thema Sexualmoral vorgelegt. Niemand der prominenteren Kirchenmänner von dort positionierte sich im Streit der vergangenen Tage, als es um Barmherzigkeit für wiederverheiratete Geschiedene ging. Obwohl dort zumindest pastoral auch offenere Kleriker führende Stellen innehaben. Aber auch der Vorsitzende des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM, Erzbischof Carlos Aguilar Retes, hielt sich vor Journalisten in Rom zurück. Er sprach von den anderen, gewiss gleichfalls dramatischen Problemen für Familien in den Ländern des Südens: wirtschaftliche Not, mangelnde Bildung, keine Perspektiven für Kinder.
Der Weg der Synode dauert nun bis zum 19. Oktober. Zum Abschluss soll es eine Botschaft geben und vermutlich einen Text mit Impulsen für offene Gesprächsprozesse in den Ortskirchen. Wie Marx oder der Pariser Kardinal André Vingt-Trois grübeln schon einige über offene und ernsthafte Gespräche in den Gemeinden zum Thema Ehe und Familie - bis zum nächsten Herbst, wenn wieder Synode zum Thema sein soll in Rom.
Denn die Zeit zwischen den Synoden, sagt der italienische Erzbischof Bruno Forte, sei letztlich spannender als das Gespräch in der Synodenaula. Forte ist Bischof, aber vor allem hoch angesehener Theologe, nach wie vor. Kaum jemand seiner Generation kennt die Dynamik, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) hin zu Reformen entwickelte, so gut wie der 63-Jährige. "Die wichtigsten Dinge beim Konzil liefen außerhalb der Sitzungsperioden", erläutert er den Medien und spricht schon von einer "Wiederentdeckung der Synode". Die Kirche müsse zeigen, worum es ihr geht, "was Barmherzigkeit , was Liebe heißt". Also Gespräch.
"Papst Franziskus glaubt an diesen Weg", an die Freiheit der Rede, sagt Forte. Da ist er wieder, der Weg. Mag der morgendliche Gang des Franziskus kurz sein - die katholische Kirche lernt, so scheint es, gerade den langen Marsch. "Pathway", sagen Synodenväter gelegentlich, wenn es um eine tüftelige Lösung geht. Manchmal klingt es nach Trampelpfad in Dickicht.