Die Kleinen proben den Aufstand
24. Juni 2005Bis vor das Bundesverfassungsgericht wollen die kleinen Parteien ziehen, wenn tatsächlich der Ernstfall eintritt - das heißt die Parlamentarier dem Bundeskanzler wunschgemäß das Vertrauen versagen und Bundespräsident Horst Köhler den Bundestag auflöst und Neuwahlen ansetzt.
Während seit Wochen über das mögliche Prozedere bei der Vertrauensabstimmung, Wahlprogramme und Kandidaten für Ministerposten spekuliert wird, haben die kleinen Parteien nun einen neuen Aspekt in die Debatte gebracht. Sie sehen in vorgezogenen Neuwahlen vor allem eins: eine eklatante Verletzung ihrer Rechte.
Es geht ums Prinzip - und ums Geld
"Wir hätten gar nicht genügend Zeit, die nötigen Unterschriften zu sammeln, um bei der Wahl zugelassen werden", sagt Klaus Buchner, Bundesvorsitzender der "Ökologisch-Demokratischen Partei" (ÖDP). Fänden die Wahlen wie vorgesehen im Jahr 2006 statt, würde seine Partei "jetzt langsam anfangen", zu sammeln, so Buchner. Das Problem liegt für ihn auf der Hand: Sollte es tatsächlich schon diesen September Neuwahlen geben, hätten kleine Parteien nur einen Bruchteil der Zeit, um die nötigen Unterschriften zusammen zu bekommen. Kleine Parteien müssen verschiedene formale Kriterien erfüllen, um zur Bundestagswahl zugelassen werden - unter anderem eine bestimmte Anzahl von Unterschriften vorweisen.
Das Argument, dass viele der kleinen Parteien ohnehin keine realistische Chance haben, in den Bundestag zu kommen, lässt Buchner nicht gelten. Zwar habe die ÖDP bei der vergangenen Bundestagswahl nur 0,2 Prozent der Stimmen errungen, aber "es geht gar nicht nur um den Bundestag". Vielmehr gehe es um den Gesamteinfluss einer Partei, und da mache es durchaus einen Unterschied, ob eine Partei nun ein oder drei Prozent erringt, so Buchner. Dahinter steckt auch ein handfestes finanzielles Interesse, denn die Parteien bekommen je nach Stimmenanzahl Zuschüsse vom Staat - derzeit 85 Cent pro Stimme. Für die kleinen, finanziell oft klammen Parteien, ist der Stimmenanteil also auch dann wichtig, wenn sie weit unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben.
Aussicht auf Erfolg
Daher wolle die ÖDP eine "Organklage" vorbereiten, die sie beim Bundesverfassungsgericht einlegen wird, falls es zu Neuwahlen kommen sollte, sagt Buchner. Obwohl Parteien eigentlich nicht zu Staatsorganen im engeren Sinn zählen, können sie diesen Klageweg beschreiten. Denn Artikel 23 des Grundgesetzes stattet sie mit eigenen Rechten aus, da sie "bei der politischen Willensbildung des Volkes" mitwirken. Diese Rechte könnten betroffen sein, wenn ihnen wegen der vorgezogenen Wahl ein angemessener Wahlkampf nicht mehr möglich ist.
Buchner sieht gute Erfolgsaussichten für eine Klage. Erst im vergangenen Oktober hatte das Bundesverfassungsgericht die Rolle der kleinen Parteien gestärkt - damals stoppte das Gericht das neue Parteienfinanzierungsgesetz, weil es die kleinen Parteien benachteiligt und die "Offenheit des politischen Prozesses" beschränkt hätte.
Viele wollen klagen
Die ÖDP ist mit der geplanten Klage nur eine von vielen kleinen Parteien, die gegen vorgezogene Neuwahlen Sturm laufen. Die "Republikaner" haben nach Angaben der stellvertretenden Parteivorsitzenden Ursula Winkelsett die Klageschrift schon fertig. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung erwägen auch die "Tierschutzpartei" und das "Zentrum" den Gang nach Karlsruhe.
Auch die "Partei Bibeltreuer Christen" sieht Neuwahlen schon in diesem Jahr mit Sorge entgegen - ebenso die "Partei Rechtsstaatlicher Offensive". "Natürlich wollen wir an der Bundestagswahl teilnehmen", sagt Vorsitzender Markus Wagner. "Aber alles hängt von der Anzahl der Unterschriften ab, die wir zusammen bekommen."
Jörg Chemnitz von den "Violetten" gewinnt der Debatte um vorgezogene Neuwahlen allerdings auch etwas Positives ab: "Wir bekommen wegen dieser ganzen Aufregung viel mehr Aufmerksamkeit, und so werden auch unsere Ideen besser verbreitet."