Bosnien Korruption Proteste
7. Februar 2014Es sind Szenen, die man in Bosnien und Herzegowina seit dem Krieg in den 1990er Jahre nicht mehr gesehen hat: Barrikaden, brennende Autoreifen, in Brand gesetzte Häuser, gepanzerte Polizisten. Am Freitag (07.02.2014) kam es erneut zu schweren Straßenschlachten und heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei. In der Hauptstadt Sarajewo gingen die Sicherheitskräfte mit Gummigeschossen und Blendgranaten gegen die Protestierenden vor. In der nordbosnischen Stadt Tuzla, wo die Proteste schon am Mittwoch (05.02.2014) ihren Ausgang fanden, haben Demonstranten das Gebäude der Regionalregierung besetzt, verwüstet und Feuer gelegt. Gleichzeitig protestieren landesweit Tausende Menschen in Bosnien-Herzegowina gegen die Korruption, die schlechte Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosigkeit.
Verfall einer Wirtschaftsregion
Tuzla gehörte einst zu den bedeutendsten Industriezentren des ehemaligen Jugoslawien. Polihem, DITA, Konjuh, Resod-Guming - das sind nur einige Unternehmen, die für den Aufschwung und Erfolg einer ganzen Region standen. Die Angestellten nannten sie früher "Geldfabriken". Doch seit einigen Tagen gehen die Arbeiter dieser Firmen auf die Straße, denn ihre Arbeitgeber haben abgewirtschaftet. Aber nicht, weil es keine Nachfrage nach den Produkten gäbe, sondern weil Vetternwirtschaft und Korruption seit Jahren an der Tagesordnung sind. Nun ist das Fass in Tuzla übergelaufen. Seit mehr als einem Jahr erhalten die Arbeiter von Polihem, Dita und Resod-Guming keinen Lohn und sind nicht mehr krankenversichert.
Die Firma Polihem beschäftigte vor dem Krieg mehr als 1.200 Menschen und setzte jährlich mehr als 60 Millionen Euro um. Das Unternehmen ist für die heimische Wirtschaft wichtig, denn es stellt Laugen und Säuren her, die unter anderem für den Betrieb des Kohlekraftwerks von Tuzla verwendet werden. Während des Krieges kauften die Arbeiter, laut Angaben des Gewerkschaftsvorsitzenden, Sakib Kopić, 49 Prozent der Unternehmensanteile auf. Es war also eine Menge Geld auf den Firmenkonten. Doch nach dem Krieg erkannten die bosnischen Politiker die Vorteile der Privatisierung von großen Firmen. Also übernahmen sie zunächst die Kontrolle über die Staatsbetriebe. "Die Regierung des Kantons Tuzla setzte neue Direktoren ein, die zwar fachlich ungeeignet, aber politisch auf Linie waren. Das Unternehmen verschuldete sich in der Folge vor allem gegenüber der Stromindustrie Bosnien-Herzegowinas. Wir mussten damals die Kilowattstunde Strom für 18 bosnische Pfennig (9 Eurocent) kaufen, während andere Firmen die Kilowattstunde zu 4 Pfennig erhielten“, sagt Kopić im Gespräch mit der DW.
Ein Unternehmen wurde zur Geldwaschanlage
Diese Überschuldung machte Polihem stark von der Politik abhängig. Dann der nächste Schritt: Die staatliche Agentur für Privatisierungen fand einen Käufer: Das polnische Unternehmen Organic Trade. Für nur 11 Millionen bosnische Mark erhielt es den Zuschlag. Die Firma gründete das Tochterunternehmen Organika BiH und kündigte Investitionen von 70 Millionen Euro an. Doch schon kurze Zeit nach dem Einstieg folgte eine Entlassungswelle. Angeblich würden sich die Produkte von Polihem nicht verkaufen auf dem Weltmarkt. Gleichzeitig nahm Organika BiH große Kredite bei Banken auf. Als Sicherheit diente das Unternehmen Polihem. Schließlich holten sich die Banken bei Polihem alles, was noch Wert hatte, und verkauften die Maschinen als Alteisen.
"Polihem wurde zu einer Geldwaschanlage umgebaut. Und hinter allem steht die Mafia in Tuzla, die durch die Abwicklung des Unternehmens ihre Gelder, die aus illegalen Geschäften kamen, legalisierte", behauptet Kopić. Seine Argumentation: "Der angebliche Eigentümer aus Polen ist in vier Jahren nicht einmal hier aufgetaucht, um seine Firma in Augenschein zu nehmen". Über den gesamten Vorgang haben sie Firmeninsider als Zeugen, so Kopić, und ihre Erkenntnisse haben sie auch der Staatsanwaltschaft übergeben. Doch es geschieht nichts.
Dem Waschmittelhersteller DITA, einst jugoslawischer Marktführer, erging es ähnlich. Nach dem Krieg waren hier 786 Menschen beschäftigt, die über die Jahre mehr als die Hälfte der Unternehmensanteile aufgekauft hatten. "Dennoch bestimmte die Politik die Firmenleitung", sagt der Gewerkschaftsvertreter Dževad Mehmedović im Gespräch mit der DW. "Die Politiker setzen eine sehr fähige Direktorin ab und einen neuen Chef und Parteigänger ein. Und dann ging es bergab."
Den Käufern ist nur schnelles Geld wichtig
"Der Privatisierungsprozess wurde von Beginn an falsch angepackt", sagt der Chefredakteur des Internetportals Capital Siniša Vukelić im Gespräch mit der DW. "Den Investoren war es nicht wichtig, das erworbene Unternehmen zu retten, sondern möglichst schnell Geld zu machen. Viele Arbeiter wurden entlassen und die Maschinen und die Grundstücke verkauft", sagt Vukelić.
Noch haben sich die bosnischen Politiker nicht zu den Protesten geäußert. In Tuzla hat die Kantonsregierung immerhin zu einem runden Tisch geladen, um zwischen den Unternehmensinhabern und den Demonstranten zu vermitteln. Doch die Menschen auf der Straße bleiben skeptisch und vermuten, dass dies nur der Versuch ist, den Protesten ihren Schwung zu nehmen. Weitere Demonstrationen sind in mehreren Städten im ganzen Land angekündigt.