Die Kosten des Terrors
17. November 2015Mit mehr als 80 Millionen Besuchern pro Jahr ist Frankreich das beliebteste Touristenziel weltweit. Etwa sieben Prozent trägt der Tourismus zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. Befürchtungen, dass Reisende Paris oder ganz Frankreich in Zukunft meiden könnten, ließen die Aktien der Fluglinie Air France und großer Hotelketten wie Accor am Montag stark nachgeben.
"Jetzt überlegt sich natürlich jeder, ob er in absehbarer Zeit nach Paris fährt. Viele werden nicht fahren", sagt der Ökonom Friedrich Schneider, der sich an der Universität Linz intensiv mit den wirtschaftlichen Folgen von Terrorismus befasst hat. "Wenn der Tourismus vorläufig zurückgeht, kann das Einbußen von mehreren hundert Million Euro bedeuten."
Unmittelbar betroffen seien zudem Cafés, Konzerthallen, Konzertveranstalter und ähnliche Institutionen. "Versicherungen werden von ihnen höhere Prämien verlangen, weil sie in einer gefährdeten Stadt sind und die Versicherungen das Risiko nicht mehr zum bisher gültigen Tarif tragen wollen", so Schneider im DW-Gespräch.
Weniger Konsum?
Möglich ist auch, dass die Bürger im Zuge der Anschläge weniger Geld ausgeben. Das werde sich nicht auf normale Alltagseinkäufe auswirken, aber - in Verbindung mit ausbleibenden Touristen - auf das Luxus-Segment des Einzelhandels, glaubt Schneider. "Teure Modegeschäfte in Paris werden im ersten halben Jahr nach den Anschlägen sicher 20-30 Prozent weniger Umsatz machen."
In den USA hat sich der Einzelhandel nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 dagegen schnell erholt, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Die Umsätze waren nur im September schwach", so Krämer gegenüber DW. Schon drei Monate habe sich die Lage stabilisiert.
Auch Investoren könnten durch Terrorismus abgeschreckt werden. Der Schweizer Volkswirt Bruno Frey verwies in einem Artikel auf Studien, die den Einfluss von Anschlägen auf ausländische Direktinvestitionen in Spanien und Griechenland im Zeitraum 1975-1991 untersuchen, als es in beiden Ländern viele politisch motivierte Terroranschläge gab. Demnach wurden die ausländischen Direktinvestitionen in Spanien um 14 Prozent und in Griechenland um 12 Prozent gemindert.
Terrorismus fügt auch dem Außenhandel "erhebliche Schäden" zu, so Frey, vor allem, weil Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen erhöht werden. Er verweist auf eine Analyse internationaler Handelsströme zwischen mehr als 200 Ländern in den Jahren 1960-1993, nach der bei einer Verdoppelung der Zahl terroristischer Angriffe "das Handelsvolumen zwischen zwei Ländern um vier Prozent zurückgeht".
Unproduktive Investitionen
Dagegen habe sich der Anteil der USA am Welthandel in den Jahren nach den Terroranschlägen 2001 "nicht wesentlich verringert", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. "Die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen nach 9/11 haben den Welthandel nicht negativ beeinflusst."
Teurer waren sie trotzdem, all die zusätzlichen Polizisten, Security-Leute und Kontrollen. Solche Mehrausgaben sind aus volkswirtschaftlicher Sicht Investitionen, die wenig produktiv sind. "Wenn man diese Ausgaben für Bildung oder Infrastruktur zur Verfügung hätte, wäre die Produktivität höher", sagt Friedrich Schneider.
Frankreich hatte schon vor den Anschlägen Schwierigkeiten, sein Haushaltsdefizit und die hohe Staatsverschuldung einzudämmen. "Sie können deshalb nicht einfach die Polizei oder den Geheimdienst um ein paar tausend Leute aufstocken und die anderen Ausgaben gleich lassen", sagt Schneider. "Es wird wahrscheinlich zu Einsparungen an anderer Stelle kommen."
Teure Militärschläge
Zumal mehr Geld für militärische Einsätze benötigt wird. Frankreichs Staatspräsident hat die Anschläge als "Kriegsakt" der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bezeichnet, am Sonntag hat die französische Luftwaffe bereits IS-Stellungen in der syrischen Stadt Rakka bombardiert.
"Die militärische Auseinandersetzung auszuweiten kostet viel Geld", sagt Schneider. "Insofern wird sich die Budgetsituation Frankreichs noch verschlechtern." Schon vor den Anschlägen in Paris war die EU-Kommission der Ansicht, dass es Frankreich in den nächsten zwei Jahren nicht gelingen wird, die Defizit-Regeln für Euroländer einzuhalten, die ein ein Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent der Wirtschaftsleistung vorschreiben. Dem Radiosender France Inter sagte Premier Manuel Valls am Dienstag (17.11.2015) denn auch, man werde die Vorgaben wegen steigender Ausgaben für die nationale Sicherheit "auf keinen Fall" einhalten.
Dennoch droht Paris zumindest keine Verwarnung aus Brüssel. "Weil die Anschläge als externer Schock gelten, wird das in die Kriterien nicht eingerechnet", so Schneider.
Der Schweizer Ökonom Bruno Frey ist in seinen Untersuchungen zum Schluss gekommen, dass die Politik "nicht einseitig auf Abschreckung mittels militärischer und polizeilicher Mittel" setzen sollte, um Terrorismus zu bekämpfen. Vielmehr gelte es, "die tiefer liegenden Ursachen von Terrorismus zu beseitigen".
Frey warnt zudem davor, die Wirtschaft beim Kampf gegen den Terror zu stark zu regulieren. "Die dezentrale Entscheidungs- und Produktionsstruktur einer Marktwirtschaft ist das beste Mittel, um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Terrorismus zu begrenzen."
Aktualisierte Version eines Artikels vom 16.11.2015