Die Kraft der Großmütter gegen Aids
15. August 2006
In Schwarzafrika leben nach Zahlen von UNICEF, UNAIDS und USAID 14 Millionen Aids-Waisen. Das entspricht mehr Kindern als die Zahl der unter 18-Jährigen in Kanada, Norwegen, Schweden, Dänemark und Irland zusammengenommen. Eine staatliche Versorgung für diese Kinder gibt es in der Regel nicht. Oft springen die Großmütter ein. Nicht selten müssen sie ganz allein zehn bis fünfzehn Aids-Waisen großziehen.
"Warum ich?"
Die 66-jährige Alicia Mdaka aus Südafrika ist eine dieser Frauen. Vier ihrer acht Kinder sind an Aids gestorben. Zwei ihrer Söhne sind psychisch krank, eine weitere Tochter ist HIV-positiv. 1999 starb ihre erste Tochter, weitere zwei und eine Enkeltochter starben in den folgenden zwei Jahren. "Das war sehr schwer für mich. Ich musste immer daran denken, dass ich auch sterben wollte. Daran, mir das Leben zu nehmen. Warum ich? Ich fühlte mich schuldig. Warum gerade ich? Warum auf der Welt ich?" erzählt sie.
Schließlich gründete sie eine Selbsthilfegruppe: "Gapa", Grandmothers against Poverty and Aids – Großmütter gegen Armut und Aids. Aus dieser Arbeit zieht sie ihre Kraft, sagt Alicia. Kraft, die sie dringend braucht. Denn heute kümmert sich Alicia um sieben Enkelkinder und fünf Urenkel. Gemeinsam mit den anderen Frauen aus ihrer Gruppe fühle sie sich wieder stark, sagt sie.
Voneinander lernen
Stärke durch Solidarität: Dieser Gedanke steht auch hinter dem Projekt der kanadischen Stephen Lewis Foundation, die Alicia und 99 andere Großmütter aus dem südlichen Afrika und aus Ostafrika nach Toronto eingeladen hat. Zwei Tage lang trafen die afrikanischen Großmütter hier mit kanadischen Großmüttern zusammen, um sich auszutauschen und gemeinsam nach Wegen zu suchen, die den afrikanischen Großmüttern das Leben erleichtern sollen. Sie habe viel von den Kanadierinnen gelernt, sagt Alicia. So hätten die kanadischen Großmütter besonders was Finanzen angehe gute Tipps gehabt.
Unvorstellbar für die kanadischen Großmütter auf der anderen Seite sei die Kraft und die Widerstandsfähigkeit der Afrikanerinnen, sagt Mary Anna Beer von der Stephen Lewis Stiftung. "Ich glaube sie haben alles was sie brauchen – außer Geld. Deshalb sind wir hier", sagt die kanadische Großmutter.
Geschichten statt Statistiken
Um Geldgeber für Projekte in Afrika zu finden seien Statistiken aber nicht hilfreich - egal, wie dramatisch die Zahlen seien, sagt Mary Anna. Stattdessen berichtet sie kanadischen Frauen von ganz persönlichen Erfahrungen, die sie bei ihren Reisen nach Afrika gemacht hat. "Wir sind alle Großmütter. Wir haben unsere Kinder und Enkel großgezogen und wenn wir ihre Geschichten hören, wie sie vier, fünf, sechs ihrer Kinder begraben haben und sich um ihre Enkel kümmern, dann kannst du nicht 'Nein' sagen."
Sein Erfolg: Stephen Lewis
Auf der Abschlussveranstaltung des Großmütter-Treffens wird viel gelacht und gesungen. Als ein Chor aus Kenia auf die Bühne kommt, hält es die Großmütter nicht mehr auf den Stühlen – egal ob kanadisch oder afrikanisch. Wer den Song kennt, singt mit. Und auch er darf nicht ruhig im Hintergrund bleiben: Stephen Lewis, Direktor der Stephen Lewis Stiftung, UN-Sondergesandter für HIV/Aids in Afrika und nicht zuletzt selbst Großvater. Gleich mehrere Frauen ziehen ihn zum Tanzen vor die Bühne.
Als er am Ende der Veranstaltung überraschend bekannt gibt, dass das Treffen der Großmütter von nun an regelmäßig stattfinden soll, fließen bei einigen Frauen Freudentränen. Deutlich ist zu spüren, welche Nähe in den vergangenen Tagen zwischen den afrikanischen und den kanadischen Großmüttern entstanden ist. Zum Zeichen der Solidarität legen sie sich am Ende gegenseitig Halsketten aus Uganda um - nur noch ein Symbol für den Erfolg des ersten Großmütter-Treffens.