Die Kultur der Imbissbude
23. September 2003Der Bundeskanzler macht auch mit. Im Stehen, im Gehen, unterwegs und zwischendurch – wir alle essen Fast-Food. Ob Helsinki, St. Petersburg oder Paderborn - Menschen geben sich der spontanen Bedürfnisbefriedigung hin. Willkommen im Mikrokosmos von Plastikgäbelchen, Pappschalen und triefend-fettiger Kost. Gemütlich essen war gestern. Das soziale Phänomen Fast-Food regiert – bis Mitte Dezember 2003 auch im Berliner Museum Domäne Dahlem.
Ölgemälde von Imbissbuden
"Wir sind schließlich auch ein Ernährungsmuseum", erzählt Dr. Peter Lummel, Leiter des Museums der Domäne Dahlem im Gespräch mit DW-WORLD. Dem vordergründig allzu alltäglichem Phänomen des schnellen Essens außer Haus hat man sich in Dahlem künstlerisch, historisch und vor allem erlebnisorientiert genähert. Von der Imbissbude als Ölgemälde bis zur gehäkelten Pizza reicht die Bandbreite der Exponante. Unterstützt durch Filmsequenzen, Fotostrecken asiatischer Garküchen und einem ganz eigenen Geruchserlebnis, ermöglicht durch eine Gruppe Geruchsdesigner.
"Bei den überraschend vielen jungen Besuchern kommen insbesondere die Häkelskulpturen von Patricia Waller sehr gut an", berichtet Lummel. Und in der Tat gelingen der ehemaligen Bildhauerin Waller mit technisch einwandfrei gehäkelten Hamburgern, Pizzaecken und Dönern ironisch-humorige Einsichten in die Welt des Fast-Foods. Präsentiert auf Sockeln die jede Bronzeskulptur adeln würden, schafft Wallers Häkelware ganz ungewohnte Assoziationsebenen jenseits des tristen Schnellimbisses.
Danke Erich Playowski
Beim Blick in die Historie der Imbissbuden stößt man nach ersten Stationen im Mittelalter und der Spandauer Zimtbrezel von vor rund 200 Jahren schließlich auf Erich Playowski. Denn Playowski, Sohn deutscher Einwanderer, gilt gemeinhin als Erfinder des Hamburgers. Kleine mit Käse überbackene Fleischbällchen zwischen Weißbrot serviert er 1906 an seinem Imbissstand neben einem Football-Stadion in Quinibek, Ohio. Und benennt sie nach seiner Heimatstadt Hamburg.
Inzwischen gibt es Frittenbuden mit Hamburgern in mannigfachen Ausprägungen fast weltweit. Allein in Berlin tummeln sich rund 2000 Repräsentanten des völkerverbindenden Kulturphänomens Imbissbude. Den meist recht schlichten Berliner Verkaufseinrichtungen, inklusive Kunstrasen und Plastikstehtisch, hat sich der Publizist Jon von Wetzlar angenommen. Zusammen mit dem Fotografen Christoph Buckstegen hat sich Wetzlar monatelang in den Berliner Außenbezirken umgetrieben. Entstanden sind schmucklose, realistische Fotos von "Beckers Fritte", oder der "Brat Oase", gesammelt in dem ambitionierten Buch "Urbane Anarchisten – Die Kultur der Imbissbude".
Urbane Anarchisten
Jon von Wetzlar interessieren weder Edelimbiss noch Luxussnack. Soziologisch unterteilt er Verkaufsstätten wie "Chicken Center" oder "Inges Boulettenschmiede" in "native", "entwickelte" und "definitive" Imbissbuden. Und lässt Autoren über ihr ganz persönliches Verhältnis zu Fritten und Bier erzählen.Nicht mehr zu Wort kommt allerdings Herta Heuwer, die amtlich anerkannte Erfinderin der Currywurst. Heuwer, die im September 1949 ihre pikante Chillup-Sauce entwickelte, nahm das Rezept schließlich schon im Juli 1999 mit ins Grab. Aufmerksame Imbissbuden-Fans können in Berlin eine Gedenktafel für das Werk der Dame finden. Und in der Nähe ganz sicher auch was essen.
Ausstellung "Imbissbuden. Essen ohne Grenzen" in der Domäne Dahlem, bis zum 15.12.2003
"Urbane Anarchisten – Die Kultur der Imbissbude", Jon von Wetzlar (Hg.), im Jonas Verlag Marburg