Die Kulturgeschichte des Zuckers
28. Juli 2019Süßigkeiten als Belohnung für Kinder, Schokolade gegen Liebeskummer, ein Eis in der Mittagspause: Wir lieben Zucker in jeder Form. Und die Industrie liebt ihn auch. Ob in Brot, Babynahrung, Joghurt oder Saucen - Zucker ist heute allgegenwärtig. Mehr als 30 Kilogramm nimmt der Durchschnittsdeutsche jedes Jahr zu sich. Das weiße Kristall ist heute als Krank- und Dickmacher verschrien, vorbei sind die Zeiten, in denen sein Besitz ein Zeichen von Reichtum und Macht war.
Am Anfang war das Obst
Unsere Geschmacksknospen sind seit jeher Fans von Süßem. Aber wie fast alles, musste auch der Zucker erstmal nach Europa kommen. Wie aber haben die Menschen ihr Verlangen nach süßen Speisen gestillt, bevor Kaufleute den Zucker aus dem Orient nach Europa brachten? Vor 2000 Jahren war Obst die einzige Quelle des Süßen. Es waren die Römer, die den Obstanbau nach Deutschland brachten, und fortan wurde die komplette Bandbreite des Kulturobstes, von Äpfeln und Birnen bis hin zu Pflaumen und Weintrauben, angepflanzt. Der gewonnene und konservierte Saft der Früchte wurde damals vor allem zu Mus oder Gelee verarbeitet. "Das war haltbar und konnte zum Süßen von Speisen verwendet werden", erklärt Carl Pause, Archäologe und Kurator der aktuellen Ausstellung "Süßkram. Naschen in Neuss" im Clemens Sels Museum, im DW-Gespräch.
Rohrzucker wurde schon im Frühmittelalter aus Zuckerrohr gewonnen und aus dem Nahen Osten nach Europa importiert. Allerdings sei er unbezahlbar für die breite Bevölkerung gewesen, erzählt Pause. Sogar der Adel leistete ihn sich höchstens zu besonderen Festen.
Und bei eben diesen Festen, so heißt es, sei der Name des berühmten Bonbons entstanden. Französische Königskinder sollen – nachdem sie das Zuckergemisch das erste Mal testeten – begeistert "Bon! Bon!" (französisch für "gut") gerufen und so dem Bonbon seinen Namen gegeben haben.
Die süße Revolution
Im 18. Jahrhundert fingen die Briten an, in ihren Kolonien Zuckerrohr anzubauen und Zucker in großen Mengen zu produzieren. Frankreich führte zu der Zeit unter Kaiser Napoleon Krieg gegen Großbritannien, und im Zuge dessen wollte Napoleon "verhindern, dass die Briten Geschäfte machen", sagt Carl Pause. So schob die Kontinentalsperre dem Zuckerimport einen Riegel vor. Der Krieg war längst vorbei und Napoleon seit Jahren tot, als die Zuckerrübe es schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts nach Deutschland schaffte. Von da an war Zucker für jedermann verfügbar und - vor allem bezahlbar.
Das weiße Kristall: ein Energiespender
Heute gilt Zucker als "das weiße Gift", als Ursache für zahlreiche Krankheiten. Und der Figur tut er auch ganz und gar nicht gut. Umso überraschender die Tatsache, dass man Zucker seit der Antike auch dort findet, wo man ihn nicht erwartet: in der Apotheke.
Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. werden dem Zucker heilende Eigenschaften zugesprochen, im 12. Jahrhundert bestanden Medikamente, so genannte "sine confectiones", zu 90 Prozent aus Zucker. 500 Jahre später gebrauchte der Apotheker - der "confectio" - den Zucker in den Medikamenten allerdings vorwiegend zum Konservieren, zum Korrigieren des bitteren Geschmacks und als Energiespender. Die süßen Medikamente verkauften sich gut. Um den Verkauf noch anzukurbeln, ließen die Apotheker die medizinischen Wirkstoffe einfach weg und verkauften nur die süße Speise: Das Konfekt war geboren.
Wie Pasteten zu Torten wurden
Nachdem das Konfekt die Apotheke verlassen hatte, dauerte es nicht lange, bis sich das Spektrum an Süßigkeiten erweiterte. Neben Schokolade, Bonbons und Gummibärchen verspricht auch die Torte süßen Genuss.
Mit dem typisch luftigen Biskuitboden, Sahne und natürlich einer ordentlichen Portion Kirschwasser, ist die Schwarzwälder Kirschtorte wohl eine der beliebtesten Torten Deutschlands. 2015 feierte sie ihren 100. Geburtstag. Vorläufer dieser Backware gab es allerdings schon im 16. Jahrhundert. Die damaligen Torten hatten allerdings nicht viel mit unserem heutigen Verständnis der Torte zu tun. Was heute meist eine sahnige Angelegenheit ist, sah vor ein paar hundert Jahren noch ganz anders aus.
Damals wurde die Torte von Pasteten- oder Zuckerbäckern zubereitet und bestand aus einem Teig, der nach dem Backen sowohl süß als auch herzhaft befüllt wurde. Die Torte war "eine süße Variante der Pastete", sagt Carl Pause. Er hat sich intensiv mit 200 Jahre alten Tortenrezepten beschäftigt, sie mithilfe eines Konditors sogar nachgebacken. Das Ergebnis war vergleichbar mit einer Art Kuchen, der mit Marmelade oder Obst gefüllt und dann mit Zuckerguss überzogen wurde. Geschmeckt haben die Torten eher trocken, findet Kurator Pause. "Man konnte im 19. Jahrhundert ja nicht kühlen, also auch keine Sahne verarbeiten", erklärt er. "Das heißt, die Schwarzwälder Torte ist erst in dem Moment möglich geworden, als man die Möglichkeit hatte, die Sahne kühl zu halten."
Zucker hat längst seinen guten Ruf als Luxusgut und Statussymbol verloren. Heute ist er ist im Übermaß vorhanden und so zu einem Problem geworden. Schön, dass all das bei einem großen Stück Torte kurz vergessen werden kann.
Die Ausstellung "Süßkram. Naschen in Neuss" ist vom 28. Juli bis zum 13. Oktober im Clemens Sels Museum Neuss zu sehen.