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Die Kunst der ganzen Welt

Aya Bach14. Februar 2013

Europa, der Nabel der Welt, auch in der Kultur - die Vorstellung ist längst obsolet. Glücklicherweise. Aber wie global ist Kunst heute wirklich? Eine kritische Bestandsaufnahme in der Berliner Akademie der Künste.

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Pieter Hugo, Nollywood, Chris Nkulo and Patience Umeh, Enugu, Nigeria 2008 © Pieter Hugo. Courtesy Stevenson, Kapstadt/Johannesburg und Yossi Milo, New York
Nothing to declare Ausstellung Akademie der Künste in BerlinBild: Pieter Hugo. Courtesy Stevenson, Kapstadt/Johannesburg und Yossi Milo, New York

Der Teufel scheint sich seiner Sache nicht sicher zu sein: Zögernd tastet er sich vor in die Welt, um Balance ringend wie ein Seiltänzer, der jeden Moment den Absturz fürchten muss. Koffi Kôkô, der weltbekannte Tänzer und Choreograph aus Benin, ist in seiner Performance "La beauté du diable" ("Die Schönheit des Teufels") mal ein magisches, mal ein menschliches Wesen.

"Wenn statt Trommeln westliche Instrumente auf der Bühne wären, und wenn ich nicht Koffi Kôkô hieße, sondern Franz Wolfgang, hätten Sie dann gedacht, dass das ein afrikanisches Stück ist?" fragt er nachher beim Interview. Kôkô versteht sich als globaler Künstler. Er verbindet traditionelle afrikanische Codes mit Elementen europäischen Denkens. Und ist damit weltweit erfolgreich. "Ich will mich verständlich machen und akzeptiert werden vom Anderen. Ich mache einen Schritt auf den Anderen zu, und er macht einen Schritt auf mich zu. So findet man eine Sprache, die ich universell nenne. Die alle Menschen verbindet und dazu beiträgt, dass man sich öffnet und etwas teilt."

Koffi Kôkô in seiner Performance 'La beauté du diable' © Arnaldo J. G. Torres
Koffi Kôkô in seiner Performance 'La beauté du diable'Bild: Arnaldo J. G. Torres

Alleinherrschaft des Westens

Vor ein paar Jahrzehnten noch wäre das Teilen weitaus schwieriger gewesen. Denn die westliche Welt genügte sich selbst und trat mit dem Anspruch auf kulturelle Alleinherrschaft an. "Westkunst" lautete noch 1981 der markige Titel einer programmatischen Ausstellung in Köln. Was damals den Anspruch erhob, die Moderne zu definieren und zugleich Weltgeltung zu behaupten, wirkt heute seltsam provinziell und hoffnungslos überholt. Ebenfalls kaum mehr vorstellbar, dass 1984 eine große Schau in New York unter dem infamen Titel "Primitivismus" der "Modernen Kunst" die so genannte "Stammeskunst" gegenüberstellte. "'Wir' haben die Moderne gehabt, und 'die Anderen' haben die Moderne nicht gehabt. Deswegen sind sie 'anders'“, erklärt der Kunsthistoriker Hans Belting das damalige Denken. "Heute haben wir alle die sogenannte Moderne hinter uns. Insofern sind wir in einer neuen Situation."

Höchste Zeit also für eine Bestandsaufnahme. Die haben sich die Berliner Akademie der Künste und das Goethe-Institut vorgenommen mit einem Paket aus Tanzperformance, Symposion und Ausstellung unter dem Titel "Nothing to declare?". Ein Wendepunkt, so zeigt die Schau, war das Jahr 1989 - zeitgleich mit den politischen Umbrüchen, die die Teilung der Welt in Ost und West auflösten. Seitdem setzten Kuratoren der westlich zementierten "NATO-Kunst“, wie sie heute mitunter ironisch genannt wird, etwas Neues entgegen. Peking wagte die erste chinesische Avantgarde-Ausstellung, London entdeckte afro-asiatische Künstler. Und das Pariser Centre Pompidou zeigte Arbeiten von je 50 westlichen und nicht-westlichen Künstlern. Die Schau machte deutlich, dass bis dahin "100 Prozent der Ausstellungen 80 Prozent der Welt" ignorierten, wie Kurator Jean-Hubert Martin sagte.

Ausstellungskatalog der legendären Ausstellung "Magiciens de la terre" am Pariser Centre Pompidou 1989, gezeigt in der Ausstellung 'Nothing to declare' (Foto: DW)
Katalog der Pariser Ausstellung "Magiciens de la terre" 1989Bild: DW/A. Bach

"Globale Kunst" statt "Weltkunst"

Inzwischen hat sich die Landkarte der Kunst gravierend verändert. Das zeigt schon die sprunghaft gestiegene Anzahl an Biennalen: Mehr als 100 gibt es heute weltweit, fast zehnmal so viele wie noch vor zwanzig Jahren. Sie haben sich in Regionen vorgearbeitet, die der Westen früher kaum zur Kenntnis nahm – inklusive Afrika, wo Dakar 1992 den Anfang machte. Dass die Globalisierung die Kunst erreicht hat, zeigt auch eine neue Begrifflichkeit: "Global Art" steht heute für eine ausdrücklich zeitgenössische Kunst. Früher sprach man meist von "World Art" oder "Weltkunst". "Das war ein kolonialer Begriff", sagt Kunsthistoriker Hans Belting. "Das hieß: wir haben Kunst, die 'Anderen' haben World Art. Das wird heute alles revidiert."

Historischer Stich von der Unterzeichnung der Generalakte der Kongo-Konferenz in Berlin 1885 (Foto: dpa)
Historischer Stich von der Unterzeichnung der Generalakte der Kongo-Konferenz in Berlin 1885Bild: picture-alliance/dpa

Kunst und Kolonialismus

Doch die Revision hat erst begonnen. Denn die Kunstgeschichte ist untrennbar mit dem Kolonialismus verbunden, der – gerade in Deutschland – kaum eine Rolle im öffentlichen Bewusstsein spielt. In der Akademie der Künste am Brandenburger Tor rückt diese Geschichte näher - nur einen Steinwurf entfernt von dem historischen Ort in der Wilhelmstraße, wo 1884/85 auf der so genannten Kongo-Konferenz die europäischen Staaten den gesamten afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten.

Mit allen fatalen Folgen, auch für die Kulturszene. Wo die Ausbeutungspolitik der Kolonialherren aus Menschen Neger machte, fehlen bis heute noch vielfach Institutionen, die Kunst und ihre kritische Reflexion fördern. Dennoch ist die afrikanische Kunst in den letzten Jahren mehr und mehr ins Bewusstsein Europas gedrungen, sagt der aus dem Sudan stammende Kunsthistoriker Salah Hassan von der amerikanischen Cornell University. "Ich denke, das liegt an einer neuen Offenheit in Europa, aber auch daran, dass die Kunst in Afrika so stark ist."

Global Art im Netz

Eine Kunst also, die über alle regionalen Grenzen hinweg ausstrahlt? Manchmal geschieht so etwas ganz plötzlich – so wie in Kairo, im Zuge der Revolution. Die Künstlerin Bahia Shehab erzählt in Berlin von ihren regimekritischen Graffiti unter dem Titel "1000 mal NEIN", die auf der Straße oft schnell verschwunden sind: "Was davon überlebt hat, sind Fotos, die ins Netz gestellt wurden und von der ganzen Welt geteilt wurden. Das Endprodukt war wirklich ein globales Produkt, es war überall verfügbar und nicht mehr auf Kairo begrenzt. Diese Bilder gingen wirklich um die Welt."

Ausschnitt aus dem Graffiti-Kunstwerk '1000 times NO' der ägyptischen Künstlerin Bahia Shehab in Kairo (Foto: Bahia Shehab)
1000 mal Nein - die Graffiti von Bahia Shehab in Kairo gingen um die WeltBild: Bahia Shehab

Kunst statt Technik

Ein Sonderfall sicher – die Freiheits-Botschaft aus Ägypten dürfte an jedem Ort der Welt zu verstehen sein. Doch längst nicht immer teilt sich Kunst so eindeutig und griffig mit wie beim ägyptischen "Nein". Gibt es nicht Grenzen des Verstehens – immer da, wo Kunst sich auf Traditionen und Zeichensysteme bezieht, die eben nicht so leicht universell dechiffrierbar sind? Stehen nicht die "Anderen" vor einem Rätsel, wenn sie japanischer Musik oder indischem Tanz begegnen?

"Das ist sehr europäisch“, sagt Koffi Kôkô dazu und lächelt weise. "Tanz hat eine Kraft, die Sie nicht erklären können. Man darf nicht versuchen, das zu verstehen!" Er jedenfalls ist überzeugt, dass das Ende der regionalen Kunst gekommen ist: "Eines Tages wird man nicht mehr von 'zeitgenössischer amerikanischer Kunst' von 'zeitgenössischer afrikanischer, europäischer oder asiatischer Kunst' sprechen. Man wird nur noch von 'zeitgenössischer Kunst' sprechen. Denn Kunst hat viel weniger mit einer Technik zu tun als mit einem Sinn."