Kunst des Greifens
5. August 2010Vorsichtig strecken sich die beiden überdimensional großen Greifarme, die an einer Halterung unter der Decke befestigt sind, nach einem grünen Apfel. Die Aktion wirkt durchaus geschmeidig, wäre da nicht das laute Knattern, das jede Bewegung begleitet. "Das ist ein pneumatisches System, also ein System, das mit Luftdruck betrieben wird. Was man hört, sind die einzelnen Ventile, die auf und zu gehen", erklärt Florian Schmidt. Er ist einer der Robotik-Forscher an der Universität in Bielefeld und arbeitet in der Fachabteilung "Greifarme". Schmidt und seinen Kollegen geht es ausschließlich um zweihändige Aktionen. Wie der gesamte Körper eines Roboters gesteuert wird, wie ein Roboter laufen oder sprechen lernt, interessiert hier niemanden.
Fingerspitzengefühl dank Sensorik
Der Neuroinformatiker sitzt vor seinem Laptop und tippt fleißig Befehle ein. Er steuert die Ventile, genauer gesagt, deren Öffnungszeiten, um so Druck auf die künstlichen Muskeln, die sich in der Roboterhand befinden, zu erzeugen. Die riesigen Greifarme reagieren, greifen den Apfel und heben ihn hoch. Ein Mensch würde dies etwas leiser tun, aber die Bewegung des Roboterarms und das Öffnen und Schließen der Hand, sehen schon sehr gefühlvoll aus. Die Hände der Apparatur verfügen über eine Fingerspitzensensorik - damit sie nicht zu fest und nicht zu locker zupacken. Das Resultat: Der Apfel liegt sicher in der Hand, ohne zerquetscht zu werden. "Wir benutzen extra Plastikobst, das ist nicht ganz so anfällig für Druckstellen und hält deutlich länger", schmunzelt Schmidt.
Eigentlich sieht es nicht sonderlich spektakulär aus: Eine Hand greift einen Apfel und hebt ihn hoch. Nichts besonderes, denkt sich der Laie. Von wegen! Helge Ritter ist Professor für Neuroinformatik und so etwas wie der Vater der Bielefelder Roboter-Forschung: "Viele unserer unauffälligen Bewegungen sind für einen Roboter eine unglaubliche Schwierigkeit", sagt Ritter während er einen Kugelschreiber in die Hand nimmt und ihn zwischen seinen Fingern dreht. "Wir Menschen machen so etwas gedankenlos, für einen Roboter wäre das überhaupt nicht gedankenlos, da würden sämtliche Prozessoren glühen."
Noch gibt es aber keinen Roboter, der so etwas beherrscht, wie einen Kugelschreiber zwischen den Fingern zu drehen. Weder die Beweglichkeit und noch die Sensorbestückung der heutigen Roboterhände reichen für solche Fähigkeiten aus. Vor allem, weil die menschliche Hand, der Arm und vor allem das gleichzeitige Agieren, den Forschern noch immer Rätsel aufgeben.
Die Bielefelder Greifarme sind aber bereits weit entwickelt, wie Florian Schmidt nicht ohne Stolz berichtet: "Die Hände stammen von der Shadow-Company aus London. Es sind die derzeit menschenähnlichsten Hände, die es gibt."
Massage? Nein, danke!
Die Roboterhände haben ungefähr genauso viele Freiheitsgrade wie eine menschliche Hand, also die gleiche Anzahl von Gelenken. Sie könnten daher zumindest theoretisch alle Bewegungen vollführen, die auch der menschlichen Hand möglich sind.
Theoretisch könnten sich die Bielefelder Forscher - natürlich erst nach Feierabend - sogar von den Greifarmen massieren lassen. "Ich glaube nicht, dass das so toll ist. Die Hände sind aus Plastik. Eine menschliche Hand ist auf jeden Fall angenehmer", verweigert Schmidt die Massage.
Jonglieren bleibt ein Traum
Ihre Beschaffenheit erlaubt den Greifarmen viel mehr, als sie tatsächlich können. Das Problem liegt in der Koordination, in der Kontrolle der Bewegungen. "Die Freiheitsgrade, also die Gelenke, alle gleichzeitig zu steuern, ist relativ kompliziert. Deswegen erforschen wir ein Verfahren, wie man aus Beispielen von Griffen einen Algorithmus lernen kann, der dann neue Griffe ausführt", erklärt Neuroinformatiker Schmidt.
Es geht um hohe Mathematik. Was spontan aussieht, ist langwierig errechnet und einstudiert. Die Bewegungen der Greifarme wirken etwas statisch, Dynamik sei zunächst nicht das Ziel sagt Florian Schmidt. Auch in naher Zukunft werden die überdimensional großen Greifarme in Bielefeld den Apfel nur hochheben und festhalten, jonglieren bleibt vorerst ein Traum.
Autor: Benjamin Wüst
Redaktion: Judith Hartl