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Die Lehren aus früheren Schuldenkrisen

Andreas Becker4. September 2012

Mit einem rigiden Sparkurs versucht Europa, die Finanzkrise zu bekämpfen. Dabei zeigt insbesondere die deutsche Geschichte, dass andere Strategien zum Schuldenabbau erfolgversprechender sind.

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Der Konferenzraum im Londonderry-Haus während der Unterzeichnung der Verträge zur Regelung der deutschen Auslandsschulden am 27. Februar 1953 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Man könnte viel lernen aus der Geschichte der Schuldenkrisen. Man könnte lernen, welche Fehler zu vermeiden sind. Man könnte auch lernen, wie ein überschuldetes Land wieder auf die Beine kommt. Zum Beispiel Deutschland. 1952 hatte die junge Bundesrepublik Auslandsschulden von rund 30 Milliarden Deutsche Mark. Hätten die 70 Gläubigerländer damals auf einen harten Sparkurs und volle Rückzahlung gepocht, wäre aus dem deutschen Wirtschaftswunder wahrscheinlich nichts geworden.

Stattdessen einigten sich alle Beteiligten im Londoner Schuldenabkommen Anfang 1953 (Bild oben) auf Bedingungen, die der westdeutschen Wirtschaft Luft zum Atmen ließen. Die Hälfte der Schulden wurde erlassen, ein Teil blieb zinsfrei, der Rest wurde langfristig umgeschuldet.

Gleichzeitig legte das Abkommen den Grundstein für den Aufstieg einer Exportnation. "Die Gläubiger und die deutsche Seite waren sich darüber einig, dass Deutschland seine Schulden auf keinen Fall aus seinen Reserven bezahlen soll, sondern nur aus laufenden Überschüssen", so Jürgen Kaiser von erlassjahr.de, einem Bündnis, das sich für die Entschuldung von Entwicklungsländern einsetzt.

"Geschichten der Schuldenkrisen" von erlassjahr.de im Haus am Dom, Frankfurt am Main, 15.08.2012 Fotograf: Andreas Becker / DW
Die Ausstellung "Geschichten der Schuldenkrisen" von erlassjahr.de in Frankfurt am MainBild: DW/Andreas Becker

Die Bundesrepublik musste also nur dann Schulden zurückzahlen, wenn sie mehr exportierte als importierte und dadurch Geld verdiente. "Würde man das auf Griechenland anwenden und sagen: Die Deutschen bekommen erst dann wieder Geld, wenn sie einen griechischen Handelsbilanzüberschuss zulassen", so Kaiser, "dann würden die Griechen ziemlich lange exportieren und deutsche Touristen unterbringen müssen, bis sie diese ganzen Panzer bezahlt hätten."

Griechenland hat für mehrere Milliarden Euro Waffen bei deutschen Herstellern gekauft. Viele Entwicklungsländer, gerade in Afrika, kennen das. Jahrzehntelang haben sie sich von den Industrieländern auf Kredit Waffen, Staudämme oder Straßen finanzieren lassen. Als sie dann mit den Zinszahlungen nicht mehr nachkamen, blieb ihnen nur ein Anruf beim Paris Club, so Jürgen Kaiser. "Entwicklungsländer haben jahrzehntelang gelernt: Da muss ich anrufen und sagen, dass es ein Problem gibt. Und dann sagen die mir, was passiert."

Anruf in Paris

Der Pariser Club ist ein Gremium der Gläubigerstaaten. Seit 1956 wurden hier mehr als 400 Umschuldungsabkommen mit 85 zahlungsunfähigen Entwicklungsländern ausgehandelt. Von den günstigen Bedingungen der jungen Bundesrepublik konnten die meisten nur träumen. Denn lange bestanden die Gläubiger darauf, dass alle Schulden in voller Höhe zurückgezahlt werden. Erst Ende der 1980er Jahre waren sie bereit, auch über einen teilweisen Schuldenerlass zu sprechen. Ab 2000 erließen sie dann einigen besonders armen Ländern ihre Auslandsschulden ganz.

Wie heute Griechenland mussten auch die verschuldeten Entwicklungsländer oft harte Sparauflagen erfüllen, die ihre Wirtschaft an den Rand des Kollaps brachten. Rückblickend war es "der größte Fehler, dass man dabei nicht auf die Stabilisierung der Wirtschaft und der Produktionsseite geachtet hat, insbesondere in der Asienkrise", sagt Jürgen Zattler vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Gläubiger, Gutachter, Richter

Weil es kein Insolvenzrecht für Staaten gibt, fehlt eine neutrale Instanz, die über Schuldenfälle entscheidet. Verschuldete Länder haben es daher schwer, bei Verhandlungen ihre Interessen zu wahren. Ob Pariser Club oder die europäische Troika - die Gegenseite besteht immer aus Ländern und Institutionen wie IWF und Weltbank, die gleichzeitig Gläubiger, Gutachter und Richter sind.

"Eine solche Konstellation wäre in einem Rechtsstaat vollkommen undenkbar", sagt Jürgen Kaiser von erlassjahr.de. "Da gibt es Gesetze und unparteiische Instanzen wie Insolvenzgerichte und Wirtschaftsstrafkammern, die sich solche Fälle ansehen und dann eine Entscheidung fällen."

Ein Insolvenzrecht für Staaten gehört daher zu den Hauptforderungen von erlassjahr.de. 1953, als in London das Abkommen über die Schulden der Bundesrepublik unterschrieben wurde, übrigens auch von Griechenland, war man schon einen Schritt weiter. Für Streitfälle gab es ein Schiedsgericht in Koblenz, das paritätisch mit Richtern aus Deutschland und den großen Gläubigerländern besetzt war. Davon kann Griechenland bei seinen Verhandlungen mit der Troika nur träumen.